Moin moin Hamburg.
Nun weiss ich endlich, was das graue Zeichen auf der iPhone-Wetterapp bedeutet: Sturm. Aber es wurde doch 12 Grad für Hamburg angezeigt. "Also wird wohl schon nicht", denke ich und wundere mich erst einmal über den technischen Service am Flughafen "Helmut Schmidt". Aufzug? Ausser Betrieb. Na dann eben Rolltreppe. "Denkste", keinen Wank. Folglich hoch die Wendelstiege. Nun zum Parkhaus. Vor dem Lift flattert ein rotweisses Absperrband mit der Aufschrift im Sinne:"Sehr geehrte Gäste der Fahrstuhl ist leider..." Also eine weitere Wendeltreppe, diesmal nach unten.
Inzwischen ist bereits klar, dass ich die App noch weiter hätte konsultieren sollen.. ja schon 12 Grad aber gefühlte 4 Grad. Ein markdurchdringender Wind samt Sprühregen hat bereits meine sämtlichen frisurmässigen Anstrengungen durchgewadelt, und das Ergebnis weckt nun eher Erinnerungen an ein blondes Vogelnest.
Doch das ist jetzt unwichtig. Unser Freund Tom hat uns nach herzlichem Willkommensdrücken bereits in seinen Stadtmercedes verpackt und los geht es Richtung Binnenalster, wo uns Conny im stylisch-gemütlichen Zuhause erwarten wird. Uns gefällt die Grosszügigkeit des Quartiers. Schmucke Jugendstilarchitektur in hellen Farben. Immer nett, wenn man auch mal im Ausland hinter die Fassade eines Hauses schauen darf. Deshalb waren wir von Connys Idee, uns zum Frühstück zu empfangen sehr angetan.
Wouww die hohen Decken....grosszügige Fenster, ziselierte Schmideisengeländer. Ein lauschiger Garten. Auf dem Tisch unter dem Strauss von hochstieligen rosafarbenen Amaryllis lockt ein leckerer Nordseeschmaus. Lachs mit Meerrettich... Krabben.. Hering und ... und.... und. Ein herrlicher Morgenauftakt.
Ich bringe Euch noch zum Hotel." "Tom, das Angebot nehmen wir gerne an". Die Hansestadt HH zeigt sich am Stephanstag noch verschlafen.
Wir verlieren uns in der Innenstadt in den zahlreichen Einbahnstrassen, finden aber schliesslich unsere Herberge.
Meine Wahl war aufgrund der Lage am Alten Wall auf das 4 Sterne "Sofitel" gefallen, das im Internet einen frischen Auftritt hingelegt hatte. Das sehr nüchterne Exterieur lässt bei der Ankunft etwas Skepsis in mir aufscheinen, ebenso die Botschaft des Personals, dass die Zimmer tatsächlich erst um 15.oo Uhr fertig seien.. und jetzt ist 10.50; aber man könne mich telefonisch benachrichtigen, falls .... früher.....Dies besänftigt meine inneren Wallungen, und ich beginne mich am wirklich gefälligen Design des Hotels zu erfreuen.
Das Thema der Weihnachtsdeko ist dem "kleinen Prinzen" von St. Exupéry gewidmet. Die Seiten des Buches sind mit bordeauxroten Satinbändern an Glitzertannen angehängt. Originell... stimmungsvoll.
Im puristischen Kontrast dazu stehen die froschgrünen runden Filzsessel in der Bar. Sie machen einfach gute Laune und später das Zimmer erst. Eine gelungene Symphonie aus Grau- und Silbertönen. Ein pinkfarbener Wärmestrahler auf das Kopfkissen.
Da hat jemand mit Freude und Sinn für Praktkabilität eingerichtet. Den Aufpreis für Alsterblick kann man sich allerdings sparen, ausser man bevorzugt die ruhigste Lage
Für das Mittagessen schwelge ich in nostalgischer Erinnerung an das Steigenberger Hotel gleich um die Ecke, wo ich vor gut 15 Jahren nächtigte. Im Bisto am Fluss wird ein weihnachtliches Menue mit einer Roullade von Kalbsfilet geboten
und natürlich wähle ich für das Finale die lokale Süssspeise "Rote Grütze". Wie lange ist das nun schon her, dass ich dies verköstete. Ein Gemixe aus diversen Beerensorten mit Vanillesauce. Beerengut!
Bis Conny und Tom uns zum ersten Besichtigungshappen aufbieten, ist noch ein Stündchen Siesta angesagt. Perfekt, denn draussen ist inzwischen ein ganz böser Wind aufgefahren. Der Regen kennt keine Richtung.... von oben und gleichzeitig von der Seite. Nasse Nadelstiche. Schirm aussichtslos. In den Medien geht inzwischen die Kunde von einer Sturmflut. Das Tief "Barbara" ist mit voller Wucht im Anrauschen. Mein Enthusiasmus, nun zum Sightseeing anzutreten, präsentiert sich deshalb leicht retardiert. Wie konnte ich nur ohne Friesennerz hierher kommen... auch die Handschuhe hatte ich frohgemut daheim gelassen.
Zum Glück haben T&C das Wetter im Griff. Es wartet ein Indoorprogramm. Nichts weniger als das meistbesuchte Museum Deutschlands! Was hier? Ich dachte eher in Richting Pinakothek München oder derartiges. Nein das steht in der Unescoweltkulturerbe "Speicherstadt". In den oberen Stockwerken eines alten Lagerhauses haben sich vor Jahren zwei modellbahnverrückte Herren eingemietet und begannen zu " basteln". Es entstand daraus die "Miniatur Wunderwelt". Ein Publikumsmagnet ohne sondergleichen für Kinder und Kindgebliebene. Die grösste Anlage der Welt. 1050 digital gesteuerte Züge fahren durch die Länder der Welt. Fast noch mehr interessieren die 200'000 Figürchen, jedes von Hand coloriert. Sie erzählen Handlungen. Man muss nur genau hinschauen. Sogar ein Banküberfall wird dargestellt... aber draussen wartet schon die Polizei.
Die Abteilung "Schweiz" ist übrigens besonders gut gelungen. Das Matterhorn pflanzt sich über 2 Stockwerke des Hauses auf. Umrundet in quirligster Fantasie von Brücken, Bahnlinien und Dörfern. Eindrücklich!
Zwischen "Las Vegas by Night" und binkendem Vesuv wird mir inmitten der drückenden Enge von Leuten allmächlich etwas sombre. Ist es das Geschiebe von Besuchern?
Ich schiele verstohlen nach den Notausgängen und hänge etwas ermattet an den Abschrankungen. Ich Klaustrophobie? Nein... da hatte ich doch nie Mühe. Es muss intern an mir liegen. Der nachfolgende Schüttelfrost macht es klar. Eine fiebrige Erkältung hat zugeschlagen. Dies muss dann auch der rührend nette Kellner des Italieners um die Ecke akzeptieren. Sein Antipastoplättli ist genial fein, aber ich sauge nur an einer Zucchetti... mehr geht nicht.
Bis zum nächsten Höhepunkt ... DEM Höhepunkt bleiben mir 12 Stunden, und ich bestelle im Schlaf ein Komplettrecovering, denn die Elbphilharmonie möchte ich keinesfalls, gar keinenfalls verpassen.
Der Tieftraum bis Mittag bringt den Erfolg. Ich stehe spritzig und gespannt um 13 Uhr an der Rezeption. Die stürmische Barbara hat noch nicht klein beigegeben. Ein guxiger Wind legt mir die Ohren flach. Auf der Station der Hochbahn grabe ich meine Hände in die Manteltaschen und versenke den Hals so gut als möglich zwischen den hochgeschlagenen Kragenseiten. Natürlich gehe ich davon aus, dass die Bahn in das Jahrhundertbauwerk Hamburgs direkt einfährt.
Nur nie falsche Erwartungen pflegen. Tom grinst... "Nein... die neue U-Bahnlinie führt zwar unter der
Konzerthalle durch.... aber ohne Haltestelle!!" "Wie praktisch!!" Also stechen wir im 90 Gradwinkel zur pfiffigen Barbaraböe in
Richtung Architekturtempel. Auf der neuen Mahatma-Gandhi-Brücke stehe ich nun endlich vor
ihr, der Elphie, wie die Hamburger ihr Debakelwerk getauft haben.
Das ruft nach einem Elphie-Selfie, bewusst mein Konterfei nur halb ablichtend, denn der neuste Wurf von Herzog & de Meuron hinterlässt in mir einen Moitié-Moitié-Eindruck. Unten die Speicherhalle, die zu skandalös hohen Kosten stabilisiert wurde (neu das Parkhaus) oben die irsierende Glaswelle, der eigentliche Kunstraum. Dieser wirkt auf dem alten Gemäuer irgendwie aufgepfropft.
Ich habe mir erlaubt, vorgängig keine Literatur über die Baute zu studieren. Nur mein unbelasteter Eindruck soll beim ersten Anblick wirken. Sicher wollte das Starduo mit dem Entwurf der Handelsgeschichte Hamburgs eine würdige Referenz erweisen. So kommt es mir vor, als würde der moderne Teil wie bei der Pflanzenveredelung als Edelreis (Symbol für das Neue) aus der Klinkerhalle (Symbol für vergangenen Zeiten) herauswachsen, wobei für meinen Geschmack das verbindende Element fehlt.
Inzwischen haben wir vom Wettersturm zu einem neuen Sturm gewechselt. Dem Publikumsansturm. Dichte Trauben vor den Eingängen, aber wir haben ja im Internet vorgebucht. Stolz wollen wir unser Papier unter den grünen Scanner halten... aber statt "Go" leuchtet " No Go"... Billette ausdrucken... aha .. hmm .... vergessen... wir müssen zu einem Schalter. Da gibt es nun Karten, aber das im Internet gebuchte Zeitfenster ist jetzt abgelaufen. Bitte warten!!! Eine Stunde in dieser S.... Kälte. Aber wofür hat der liebe Gott denn den Charme erfunden. Ich arbeite mich mit Buchungszettel und Tickets zum Kontrolleur vor und erkläre ihm mit einer Mischung aus Unbeholfenheit, Naivität und Verzweiflung meine / unsere Lage und schwupps stehen wir im Eingang. Nochmals ein Merci an den verständigen Hüter der Schranke.
Der Auftakt ist spannend futuristisch. Auf der längsten Rolltreppe der Welt (220 m) zuckeln wir dicht an dicht mit gefühlten dreihundert anderen Personen durch einen weissen Kunststofftunnel.
Wir erreichen eine kleine Plattform, die einen prächtigen Blick auf die Landungsbrücken freigibt. Insgesamt ist der Raum eher eng. Seitlich schliesst sich der Eingang zu einer Störtebeckerbar an und daneben die finale kleine Rolltreppe, die uns in die, in aller Munde stehende, Vorhalle führen wird. Und nun stehen wir hier. Die PLAZA!!! Man spürt förmlich die Gespanntheit der Besucher. Immer war nur aus Reportagen von der Baustelle zu erfahren:
Der Skandalösen,
der Pleitenahen,
der irrwitzig Teuren,
und nun endlich real!
Die Stimmung ist ganz einzigartig. Sie atmet den Moment in dem die jahrelange Häme in primäre Begeisterung ja Stolz umschlägt.
Dominiert wird dieses Foyer durch eine gigantische gewellte Glasscheibe. Durch einen raffiniert geführten Korridor gelangt man zwischen Glaswänden auf die Terrasse. Von dort der interessante Blick auf den Hafen und das neu entstehende Quartier Hafencity, das Wohn-und Arbeitsraum für 20'000 Menschen bieten soll. Ein Areal, auf dem sich die hippsten Architekten austoben durften und es weiterhin tun.
Nach der ersten Balkonumrundung
treten wir wieder in das Atrium. Unsere hanseatischen Steuerzahler Tom und Conny geben sich versöhnlich zufrieden, ja beeindruckt. Immerhin 60 Mio Spenden seien gesammelt worden. Der erste Entwurf sei auf rund 75 Mio geschätzt worden. Das habe man gedacht, das sei verantwortbar. Aber die Bauodyssee endete für die Hansestadt in unglaublichen 700 Mio. Nun hofft man auf den Sydney-Effekt (beschrieben unter (Kaleidoskop Sydney).
Immerhin hat die Marketing Agentur die Leidensgeschichte mit einem Schmunzeln und Sarkasmus selbst aufgenommen, was die Plakate zeigen.
Zum Abschluss werfen wir noch einen Blick auf die Treppen, die zur heiligen Halle, dem Konzertsaal, hochsteigen. Holz, im Gegensatz zum lokalen Klinkerboden, der durch das ganze Gebäude durchgezogen ist. Leider erst ab 11. Januar geöffnet. Schade... seine Vorschusslohrbeeren sind süss. "Saal mit Seele" war zu lesen. Die privilegierten Musiker, die schon das Vergnügen hatten, seien mit verklärtem Gesicht herausgekommen. Hamburg wird sicher auf der musikalischen Landkarte einen markanten Platz erhalten und ihn nutzen.
Unsere Zeit ist abgelaufen. Noch äuge ich kurz durch die Scheiben des Westinhotels, das seine Rezeption direkt auf der Plaza betreiben darf. Moderne Mainstreammöblierung in Champagnertönen. Originalität fehlt, aber vielleicht hat man den Eyecatcher einfach noch nicht gefunden. Kurz noch durch den Souvenirladen gedüst und wieder die Rolltreppe hinunter getunnelt.
Fazit: Eindrücklich aber ich werde weiterhin zumindest optisch Die Harpa in Reykjavik und die Oper von Sydney bevorzugen. Aber trotzdem herzliche Gratulation an die Hamburger. Elphi wird das Leben und das Stadtbild prägen
Nun haben wir Durst, und ein zügiger Spaziergang durch die neue Hafencity öffnet neue städtebauliche Persepktiven. Langsam erwacht hier das urbane Leben. In die Bar "Coast" möchte ich unbedingt hinein. Die Pflanzenwand hat es mir angetan
und der Prosecco " Testarossa" mit Ingwerlikör und Himbeeren passt in seiner Eigenwilligkeit durchaus zum neuen Quartier
Deftig aber auf sehr hohem Niveau geht es schliesslich am Abend zu und her. In der Speicherstadt haben Tom & Conny im angesagten Lokal reserviert."Vleet".
Lagerhallenambiente, modern aufgepeppt.
Ochsenbacke auf der Karte, die faserzart im Gaumen zerfällt oder gebeizte Forelle mit roter Beete und Kresse. Köstlich.
Ja... a propos Essen... das haben wir auch im Hotel ausprobiert.
Das dortige Restaurant "Ticino" pflegt bei der Geschwindigkeit des Services freudlich-mediterrane Gemütlichkeit. Was aber geliefert wird, hat Qualität. Trotzdem, das Lokal verliert uns wegen seiner Gästelosigkeit an den urigen Keller ein paar Blocks weiter. Hier ist aber was los in der "Brauerei Johann Albrecht". Tellergerichte für 7€ 40 und flotte Bedienung mit lockeren Sprüchen. Der Laden ist voll. Von Einheimischen bis China.. alles da.
Zum Abschluss steht am nächsten Tag noch die sehr lohnenswerte Besichtigung des Rathauses mit einer Führung an. Die Bilder mögen für sich selber sprechen. Dem detailverliebten Beobachter tun sich facettenreiche Felder des Entdeckens auf. Die grösste Ledertapete der Welt ist nur ein Augenschmaus von vielen.
So vergeht die Zeit.
Noch eine kleine Stadtrundfahrt. Die urtümliche Deichstrasse mit ihren schrägen Häusern an der Vleet...
schrille Reeperbahn
Wir haben die Stadt mit ihrer Geschichte und ihren Visionen ins Herz geschlossen.
Tom & Conny! Euch gehört ein ganz lieber Dank. Es war authentisch.... lustig... schräg....spannend.... facettenreich und äusserst sympathisch.
Wir kommen wieder!
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