Bunte Kuh und Erdbeerfels

Und Helgoland heute?

Zollfreiinsel. Die Ausflugsschiffe leeren in den Sommermonaten rund 1000 Ausflügler gegen 12 Uhr Mittags an der Mole aus. 600  verschiedene Spirituosenmarken sollen erhältlich sein. Die Touristen ergiessen sich in die Gassen mit Modeboutiquen, Parfüm, Zigaretten. Glücklich,  wer ein Schnäppchen ergattert hat. Weisse Plastiksäcke schwenkend, zieht es die Besucher in die berühmten Hummerbuden, die in buntem Reihauf die Strandpromenade säumen. Einstige Fischerhäuschen... heute ballenbergmässig gepflegte Fotomotive.... da ein Krabbenverkäufer, dort eine Dame mit Muschelsouvenirs. 

Die Shoppingtour macht Hunger. Das Dorf ist auf zwei Ebenen angelegt. Das "Unterland" am Hafen und auf einer Felskante (mit Treppe oder Lift zu erreichen) das "Oberland". Die Spezialität wird überall angeboten: "Knieper", die Scheren eines Taschenkrebses. Was nach Petit tönt, erweist sich als präsentable gepanzerte Greifarme, und meine Obervierung der Nachbarteller hält mich von einer Bestellung ab, denn die Entlockung des pastellrosafarbenen Fleisches sieht nach Geschicklichkeit erheischender Schwerstarbeit aus. Es knackt und splittert. 

Ich entscheide mich für das Hummerragout ebenfalls etwas "Hiesiges", wobei man allerdings damit rechnen müsse, dass das eine oder andere Getier einen amerikanischen Pass hatte (dies erfuhr ich jedoch erst später, denn die Hummer werden hier mit einem Hummerprojekt geschützt und nur selektiv gefangen. Weil sie aber als einheimische Delikatesse gelten, sind Importe zugelassen. Der Taschenkrebs dagegen, der nicht selten grösser wird, gilt als invasiv und Verdränger des Hummers und wird deshalb fleissig bejagt). Der Koch des Hotels Riekmers erhält trotzdem gute Noten. Eine leichte Safransauce ummantelt die delikaten Würfel. 

Das Ambiente ist heimelig und das Dessert schon vokabulatorisch meine Neugier weckend. "Damen und Herrenbrei". 

Es schmeckt so wie es aussieht. Fade und erinnert mich eher an eine entsaftete Gerstensuppe. Wenn die Lebensmittel auf der Insel früher knapp wurden, kochte die Frau  des Hauses als Süsspeise,

einen Brei aus Graupen (Art Gerste). Für die Männer wurde der "Klumpen"

mit etwas Rum verfeinert, soweit dieses Adjektiv hier überhaupt zur Anwendung kommen dürfte. Für Frauen und Kinder wurde die Masse mit gehackten Trockenfrüchten spartanisch ergänzt. Ich denke nicht, dass ich nochmals mit diesem Nachtisch koketieten werde, aber er gibt ein authentisches Bild der damaligen Situation ab. Magere Zeiten.... und ich bekam definitiv die Frauenvariante.

Vier Uhr: Allgemeiner Exodus. Die Schiffe warten schon. Der Hallunder Katamaran wird rund 500 Passagiere 

verschlucken und nach Cux und Hamburg bringen. Und weg sind sie. Die Insel leer. 

Jetzt beginnt Helgoland pur. 

Das Nachtleben beschränkt sich vorwiegend auf die "Bunte Kuh". Die Bar am Hafen ist Treffpunkt für die Handvoll Übernachter und für die Einheimischen. Mein Schweizer Akzent erregt Aufmersamkeit, und so fühle ich mich in der bunten Kuh wie ein bunter Hund.

An der Theke ist es unterhaltsam. Man bleibt nicht lange allein. Ahhhh... Schweizer...." Helgo" das Inseloriginal hat uns entdeckt. Mit 3 Jahren kam er nach der Freigabe der Insel mit seinen Eltern zurück. Seither hier mit rund 1400 weiteren Insulanern. "Hey Du (jeder ist hier per Du) wo sind eigentlich die Schweizer. Kaum einer verirrt sich hierher. Du musst ihnen zuhause erzählen, wie spannend es hier ist....


und der Fels ... die lange Anna...". Helgo gerät ins Schwärmen...

"Ich kann Dir sagen... der Fels ... der Fels....

diese Farben... jede Minute anders..

orangeglühend... ...purpur... ...nein... nein...", als könnte er seiner eigenen Beschreibung kaum glauben... fährt er sich mit beiden Händen über das Gesicht..... "ERDBEERROT... ...ich sag Dir .... nein wirkich Du musst das sehen: ERDBEERROT !! Vor allem im April und Mai.... jede Minute anders. Wir fahren mit dem Schiff raus und bestaunen sie, die lange Anna, bis sie im letzten Sonnenstrahl verglüht!!!"


Ich gebe seinen Worten, der Emotion, Raum......ich fast leise: "Ein Bier?" Ich deute Jasmin ein Handzeichen: Die junge blonde Bardame mit dem adretten Zopf muss keine Fragen stellen... man kennt sich hier. Sie schiebt Helgo ein weisskragiges Jever herüber. Am Glas glänzen eisigfrische Wasserperlen. Sie tropfen auf Helgos Handrücken. Seine Extase, seine Tiefe zu diesem Land achtsam kühlend. Vielleicht ist es gerade dieser Moment, den ich hier gesucht hatte. 

Der Leuchtturm wirft seinen Silberstrahl durch die Nacht. Time to leave. 


Der Morgen danach gibt sich gelassen. Sturm Holger hat sich verzogen

Noch hat das Eiland Ruhe.

 "Waj lang Kant" (Platt) Der berühmte "Küstenweg", der Weg entlang der Kante: Das Highlight der Insel. Wenn man ihn im Uhrzeigersinn begeht, kann man auch gleich an diversen Stationen die Geschichte chronologisch erwandern. 

Zwischen Salzgras und Küstenriff atme ich die meerige Luft. Vorbei am Leuchtturm, dem Sendemast.

Lummel
Lummel

Dann Gekreische allenthalben. Weisse Segler erheben sich elegant in die Lüfte. Lassen sich mit weit gespreizten Flügeln auf der Thermik tragen... die "Lummen". Trotz Geschnatter, Gezeter und ätzender Duftwolke, ich muss ganz nah an sie heran. Dicht an dicht hocken sie in den Sandsteinrillen des Kliffs. Die andere Vogelspezies ist ebenfalls lautstark vertreten., die "Basstölpel".  Ein einziges birnenförmiges Ei legen sie  in schwindelerregender Höhe in den nackten Fels. Wenn das Junge Ende Juni genügend gross ist, begeben sich die Eltern in der Dämmerung auf das hundert Meter weiter unten gelegene Wasser und locken den Jüngling mit Rufen. Ein absolutes Naturspektakel  soll es sein, wenn sich die Küken schliesslich zum ultimatven Sprung entschliessen und sich in die Tiefe stürzen. In der See wird das Kleine gewahr werden, dass es schon perfekt tauchen und schwimmen kann. 

Und nun kommt sie zum Vorschein ... die lange Anna... Helgos Erdbeerfelsen; die letzte Formation, die erhalten geblieben ist. Naturgewalten und Sprengungen haben die andern  Säulen zum Einsturz gebracht. Die Anna wurde deshalb mit einem Betonfundament stabilisiert.  

Ich stehe an der Kant. Der Wind im Haar, der Blick in die infiniten Wellen. Küstencontemplatio über das Leben.  

Was es schenkt und wieder nimmt. 

Die Lummen lassen sich über dem Rostrot treiben.

Federleicht setzen sich meine  

GEDANKEN auf ihre Schwingen Sie schweben davon. Sie sind frei..... 


                 

                  RELEASED


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Kommentare: 5
  • #1

    Maria Knist (Donnerstag, 24 August 2017 20:26)

    Salü Franziska,
    das war ganz sicher eine erlebnissreiche, beeindruckend Reise.
    Das kann man nur erleben, wenn man 1-2 Tage dort bleibt. Ich nehme an , zurück seid ihr mit dem Schiff?
    Wie hat es Felix gefallen? Überraschung gelungen?
    Vor mehr als 40 Jahren sind wir auch von Hamburg aus dort gewesen. Ich mag mich noch an die roten Felsen erinnern, die Häuser, mehr nicht. Es war halt auch so 1 Tages Tripp.
    Danke vielmals, ein gutes Wochenende im Heimatkanton?
    Wir sind im Luzerneschen, bei Walters Tochter Rössli hüten.

    Liebe grüsse
    Maria

  • #2

    Cornelia Bethge (Sonntag, 27 August 2017 12:31)

    ... das muss ich leider als echte!! Nirddeutsche korrigieren: es sind Lummen, nicht Lümmeln (sorry) ...
    Cornelia

  • #3

    Cornelia Bethge (Sonntag, 27 August 2017 12:32)

    Diese schwachsinnige Achreib-"Korrektur" des Handys ...
    Cornelia

  • #4

    Renate (Samstag, 02 September 2017 18:47)

    Wie immer: witzig erzählt francesca, mit gluscht auf mehr (Meer). Eine unbekannte Ecke hast du Felix und dir geschenkt und uns Leser lässt du teilhaben. Merci beaucoup et à bientôt!? Renate

  • #5

    Cornelia (Dienstag, 05 September 2017 07:55)

    Sehr eindrücklich erzählt, wunderbar! Lieben Dank!