Marie Antoinette. An ihr kommt man lokalkulinarisch nicht vorbei. Stolz präsentiert sie sich an den grünüppigen Abhängen von Victoria mit einem spitztürmigen Plantationhaus. Und dieses glänzt mit Geschichte, wohnte doch hier Sir Henry Morton Stanley, der weitgereiste Abenteurer, der als Krönung seiner exploratorischen Tätigkeit, in Afrika den verschollen geglaubten Missionar Dr. David Livingston wiederfand. Eine prägender Mann, der die Quellen des Nils suchte und sich gehen den Sklavenhandel wandte.
Seit 1972 wird das Haus als Restaurant geführt. Es gilt als DIE Adresse für créolische Küche. Und was gut ist, muss ja nicht geändert werden, sagten sich die Wirte. So ist die Spreisekarte unverändert geblieben. Deshalb gibt es bei der Menuewahl auch praktisch nichts zu diskutieren. Es wird eine Art créolisches Variantikum bestehend aus 8 Schälchen zur Selbstbedienung am Tisch aufgefahren.
Curries in verschiedener Schärfe varieren in diversesn Gelb-und Brauntönen. Ein Klassiker natürlich auch: Fisch an Sauce Créole.
Als herausfordernd stellt sich Chickencurry heraus.
Das Flugtier muss bevor es in die Pfanne verquantet wurde, emotionslos mit einer Art Gartenschere traktiert worden sein. Dem Essfreund bleibt die Sezierung überlassen, verbunden mit der Hoffnung, es möge sich öfters ein splitterfreies Stück von namhafter Grösse ablösen. Hier noch meine Favoriten:
Die panierten Auberginenrondellen knuspern wunderbar im Mund.
Der im Eimantel frittierte Papageienfisch weckt Erinnerungen an Fischchnusperli aus dem Zugersee und im benachbarten Schälchen glänzt eines der Nationalgerichte, Papaiasalat. Dieser scheint in mannigfaltigen Varianten zu existieren: Roh, gekocht durchmischt mit Kürbis, Avocado oder.....
Zu Beginn des Gelages bin ich eigentlich noch ganz zuversichtlich, die Töpfchen zu leeren... aber unmöglich. Die Nachspeise erübrigt sich, und das ist auch nicht schlimm, denn ich weiss bereits, wo es auf der Insel das beste Eis gibt. Ich besuche tags darauf den „Jardin Royal“. Im Süden der Insel Mahé versteckt sich in den Hügeln das einzigartige Anwesen mit kolonialem Esprit.
Ein Franzose mit dem ungemein passenden Namen „Poivre“, hatte sich hier ein botanisches Reich geschaffen. Ein wilder Garten. Man steicht abseits von Wegen über das hügelige Gelände und studiert die unzähligen Gewächse.
Ich sehe gewisse Pflanzen erstmals in meinem Leben oder zum ersten Mal abseits meines Gewürzkästchens in Natura. Vanille zum Beispiel. Die Blüten müssen in Ermangelung von geeigneten Insekten (im Herkunftsland Mexiko beorgt die Bestäubung der Kolibri) von Hand einzeln bestäubt werden. Die Schoten werden später grün geerntet und einem 48-stündigen Kochprozess unterzogen und nachher luftgetrocktet, bis sie die uns bekannte schwarze, gummiartige Eigenschaft erhalten.
Nachdem ich durch Garten Eden mit Wasserbirnen, Goldäpfeln und Pfefferrispen geschlendert bin, meldet sich ein Gelüstchen.
Das Eis hier ist aus den garteneigenen Früchten. Hausgemacht. „Was gibt es heute?“
„Pfefferminz, Lemongrass, Vanille, Zimt und Muskatnuss. „Meine Neugier führt mich zur Wahl: Muskat & Lemongrass. Neues schmeichelt meinen Geschmacksknospen.
Übrigens ist zu erfahren, dass die Dosierung von Muskat nicht zu hoch sein darf. Ja, das Nüsschen im Purpurmantel kann „high“ machen.
Zu bezahlen ist das Geschlecke an der Kasse bei einer Dame mit pfiffigem, weissem Kurzhaarschnitt. Sie tippt gerade an einen Laptop, der auf einen Vintagetisch steht. „Did you enjoy?“ Ms. George lächelt freundlich. „Leben Sie hier?“, und ich strecke ihr die wenigen Rupien hin. Ihr Blick füllt sich mit leisem Stolz. Sie sei schon die 5. Generation. Ihr Ur-Urgrossvater hätte den Park gekauft und seither habe sich die Familie immer diesem Plätzchen verschrieben. Unsere Blicke drehen nochmals gemeinsam eine contemplative Runde über das alte Haus, weisses Holz.
Sie ist sicher Pflanzenexpertin und weiss alles. Gute Gelegenheit, etwas über Curry zu erfahren, insbesondere die kleinen loobeerähnlichen Blattteile, die sich in manchen Saucen finden. „Das sind gehackte Blätter des Zimtbaumes. Sie geben einen ganz besonderen Geschmack ab, der vortrefflich ins Curry passt“. „Thank you, jetzt ist das Geheimnis gelüftet.“
Für den letzten. Abend an einer Reisedestination pflege ich jeweils nach etwas ganz Besonderem Ausschau zu halten. Eine Art zelebriertes Farewell. Ich hatte die lokalen Gastroführer durchgeblättert, und immer wieder stoppte mein Stöbern auf der gleichen Seite, ein Farmhaus zwischen Palmen. Eine alte Veranda, warmes Licht wie Bernstein aus den Fenstern leuchtend.... es zieht mich ....zieht mich ... ich muss dahin: „Grande Maison“... Rumdestillerie Takamaka? Wieder dieses Wort „Takamaka“! Hier wird der Takamakarum hergestellt.
Weil mir der letzte Abend so wichtig ist, gehe ich auf Tagesvisite. Das Haus zieht mich sofort in seinen Bann. Das Personal überzeugt. Gut bin ich persönlich erschienen. „We don‘t take walk-ins“. „Sie möchten buchen für heute Abend? Ich hoffe in diesen Sekunden: „..., ja bitte unbedingt!! Sehr unbedingt.“ „Allright Madame. 7 pm“.
Ich komme pünktlich. Der Empfang ist bereits speziell. Es geht nicht durch das Haus auf die Terrasse. Man wird zu den Polstersofas auf der Veranda geführt. Eine stille Aufforderung, sich hier im flackernden Kerzenschein auf ethnoblau gemusterten Kissen niederzulassen und sich einen rum-inspirierten Cocktail zu gönnen. Der limonengrüne „Mojito on the Beach“ fliesst elegant aromatisch und erfrischend in meine Kehle. Derweil tritt die junge Bedienung mit der Karte und den „Specials of the Day“ heran. Ich hatte von einem Pastagericht mit Rum gehört. Deshalb studiere ich das Menue nur orientierungshalber. Nachdem mich der Stranddrink schon in die wildesten Meeresfantasien entführt hat, holt mich ein Kellner behutsam zurück. Er flüstert beinahe: „Madame... your table is ready!“
Ich schreite durch den Hauptraum. Rauchdunkel die holzigen Planken, die Wände... flackernde Schatten... ein Gecko schreit und verschwindet hinter einen schmideisernen Kerzenleuchter.
Die gedeckte Gartenterrasse ist gefüllt. Ein kleiner Tisch an der Hauswand noch frei, meiner. Die Stimmung ist der Location angepasst. Nicht zu laut aber unbeschwert. Familien, bestehend aus weissen und dunklen Menschen, sitzen friedlich, lachend zusammen an Tischen, die Kerben ihrer Historie auf sich tragend, als wären es Mahnmale, der leidvollen Geschichte der Ungleichheit und Verachtung, die Afrika geprägt haben.
Und nun steht sie vor mir. Weisses Kleid mit schwarzem Grafikmuster. Kristin aus Belgien. Sie mag die Chefin sein... ja sie ist es seit 8 Jahren... ehemalige Fooddesignerin, die hier hängen blieb.
Ich habe schon lange nicht mehr einen Menschen getroffen, der so offensichtlich seine Mission gefunden hat. Ihr Lächeln hat einen inneren, verklärten Glanz.
Ich habe die Pasta bestellt. Sie führt mich an ein Nebentischchen. Darauf trohnt ein grosser Käselaib, fast schon ausgehölt, wie eine Schüssel. „Ich hatte genug von Schikimiki und habe mir ein neues Gericht überlegt. Etwas, das zur Rumdestillerie passt.“ , meint sie, schon völlig vertieft. Dabei sei sie auf eine alte Tradition aus dem Aostatal gestossen. Der mittlerweile 2 jährige Parmigiano Reggiano wird vom
inneren Rand her gehobelt. Seine Flocken liegen nun auf dem Käseboden. Kristin behändigt die Rumflasche und der Takamaka vermischt sich mit dem geschabten Bröseln. Ein Bunsenbrenner... Kristin entfacht seine feurige Kraft; eine violette Stichflamme schiesst in den nächtlichen Himmel um sogleich in heisse Helligkeit zu mutieren.
Kristin rührt, vermengt mit Schwung und Hingabe, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Das Feuer fällt langsam in sich zusammen. Blau und Lila züngelnd ... langsam erlöschend.
Ein unbeschreiblicher Duft. Die Pasta wird zugefügt... die Sauce sorgfältig untergehoben. Gaumenzauber.
Kristin lächelt immer noch. Die Szene hat etwas von „Out of Africa...Meryl Streep“. Die Welt bleibt einen Sekundenbruchteil stehen. Wie war das doch gleich mit „Takamaka“? (vgl. Artikel: „Takamaka“) Hatte ich als Kind geträumt, es sei ein Strand? Und dabei ist es dieser Platz, diese junge Frau.... die Seele, die sie diesem Ort verleiht. Sie kommt noch einmal an meinen Tisch. „Compliment of the house: Rum mit Vanille oder Zimt parfümiert?“ „Das erste.“ Samtig netzt der Vanilledigestive den Gaumen. Der Abgang unendlich. Füllig, warm...
Mein letzter Abend.
„Takamaka, ich habe Dich gefunden.“
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