Fernwehherz! Schlummert es nicht in jedem von uns. Meines träumte von Takamaka, von Champanerstränden, wiegenden Palmen. Von goldenen Dünenkämmen in den Wüsten.
Grönland würde sicher interessant sein. Doch würde diese arktische Kälte mein Inneres berühren?
Ich schiebe den Vorhang meines Hotelzimmers zur Seite. 4 Uhr 53. Zartestes Rosa überzieht das Himmelsgewölbe. Und vor diesem Horizont sie: Die Eisigen. Ist es Hellblau, ist es ein fein aquarellisiertes Weiss?
Ich bin ergriffen. Meine Kamera kann die Stimmung nicht erfassen. Sie zieht in mir ein. Ich möchte zu ihnen. Es reisst. Zu ihnen. Nah. Näher.
Bis dato habe ich schon einiges gelernt. Von Professor Gruber durfte ich erfahren, was der Unterschied von Nordpoleis und Gletschern ist und wie es zur Bildung der Eisberge kommt. Das Eis am Pol entsteht durch Regenfälle in Sibirien. Dort gefrieren diese auf dem Meer und werden dann Richtung Pol geschoben. Die Eisdecke ist bis drei Meter dick. Sie ist salzhaltig. Darunter befindet sich Salzwasser. Temperatur vier Grad. Der Geburtsort der Eisberge befindet sich immer auf Gletschern. Ein Tal an Land füllt sich mit Schneeniederschlag bis das Gewicht so gross wird, dass die Masse nach unten gedrückt wird. Wenn es am Endpunkt der Zunge genügend warm wird, brechen Stücke ab. Wenn dies am Gewässer geschieht, spricht man von „kalbern“. Es entsteht ein Eisberg, der aus Süsswassereis besteht. An der Diskobucht ist dieses Naturschauspiel relativ leicht zu erreichen. Und dies meint „Jens“ der dänische Guide, der uns auf einen Stadtspaziergang mitnimmt, sei die Kehrseite der Medaille.
Die Einheimischen befänden sich im emotionalen Zwiespalt. Die Fremden bringen Einkommen, Aufmerksamkeit und doch fühlten sich viele Bewohner von Illulisat unwohl. An nicht wenigen Gartenzäunen flattern Papierzettel: „No Foto!“ Eine Abwehrhaltung... getrieben von der Angst, die indigene Kultur zu verlieren. Wäre es da nicht ein Weg, sich unabhängig als eigener Staat zu proklamieren? Dänemark bietet Hand, aber ein berechtigtes Zögern bleibt. Die gut 56‘000 Einwohner verwalten sich heute autonom und profitieren doch von einem nicht zu unterschätzenden Schutzmantel mit Anbindung an die EU.
Nun wir dürfen es den Grönländern überlassen.
Wir schlendern durch das Dorf. 5’000 Einwohner, meist in eigenen kleinen Hütten. Diese stehen alle auf Stelzen. Sämtliche Rohre werden oberirdisch geführt. Auch Abwasser. Problem: Der Permafrost. Durch leichtes Auftauen und Wiedergefrieren ergeben sich Bewegungen. Es würde Rohre und Konstruktionen zerreissen.
Wir schlendern zum Kirchlein, das an toller Aussichtlage steht. Dann in den kleinen Hafen. Fischfabrik. Kutter. Jeder Grönländer hat ein Boot. Im Dorf oben ein SPAR. Vom Gewehr bis zum grünen Apfel. Alles Notwendige importiert, aber erhältlich. Jens hat noch viel Wissenswertes zu erzählen, aber es gibt Momente, da hat Dich etwas gefangen, fasziniert.
Auch die grossartige Küche des Hotels Arktic kann mein Kribbeln nicht beruhigen. Ich möchte zum Eis.
Melanie hängt am Telefon. Mein Flug steht auf der Kippe. Grönlandwetter eben. „Oh, nein... bitte nicht!“ Dann Entwarnung. Teilweise. Man werde mal zum Flughafen fahren. Wait and see! Wir werden zu fünft sein. Die Gruppe, die vor uns geflogen ist, kehrt zurück. Mit verklärten Blicken. Fantastisch! Gigantisch!
Noch während der Schwärmerei: Das „wait and see“ erfährt von der Pilotin Konkretisierung: „We will do it.“
So werden wir von der zierlichen Pilotin „Sia“ in das Kleinflugzeug verpackt. Sie erntet mit ihrer ruhigen, freundlichen Art sofort mein Vertrauen. Sie arbeitet die Check-Liste ab. Tourt die Propeller hoch bis diese eine ratterndes Singen abgeben. Alles abgehakt.
Sie lenkt die Glasnase des Fliegers Richtung Rollbahn. Es landet gerade noch Greenland Air. Dann der Funkspruch: „No traffic on runway!“
Wir holpern nur wenige Meter. Schon zieht Sia unsere „Mücke“ hoch. Es geht über das eisfreie Umgelände... auf dem Meeresarm die ersten Eisberge... noch fern.
Sie biegt in den Fijord ein... und ich halte die Luft an. So imposant hatte ich es mir nie vorgestellt.
Als wäre ein weisse Glasscheibe in tausend Stücke zerbrochen, kleine Eisschollen wie Splitter auf dem ruhigen Wasser floatend.
Manche sind grösser. Dürfen sich schon Mini-Eisberg nennen. Sie schmücken sich mit einer intensiv türkisgrünen Umrandung. Das Eis unter Wassser. Es wird 90 Prozent grösser als die oberirdisch wahrnehmbare Spitze sein.
Vor uns nun der Gletscher. Er zeigt seine Millionen Jahre alten Narben. Die Scratsches auf dem Deckel.
Sind es Spalten, sind es Linien. Wie die gegerbte Haut im menschlichen Leben. Gezeichnet. Geprägt. Weise. Wissend.
Mitten drinn fast unwirklich blaue Teiche.
Und am Ende der Gletscherzunge:
Wild zerklüftetes Gezacke.
Magisches Azur zerwirft sich in den Spalten. Noch einmal sich präsentierend bevor der Abbruch ein neues Kapitel anschneiden wird. Das langsame, aber würdevolle Zergehen einläutend. Die finale Reise.
Man könnte der Pilotin Fragen stellen. Aber ich kann nicht. Zu sehr im Bann der Schönheit.
Wir drehen ab. Es geht wieder hinaus auf das Meer. Plötzlich kommet eine Nebelbank auf; es rüttelt... keine Sicht. Sia geht auf Funkspruch mit dem Tower. Die Route muss geändert werden. Der Überflug über den berühmten Eqi-Gletscher, der als Höhepunkt geplant ist, wird nicht möglich sein. Wir sinken, sinken... fast scheint es mir, ich könnte das Packeis berühren.
Wir werden nun Kurs auf die grossen Eisberge nehmen und länger nach Walen Auschau halten.
Natürlich schade, dass das Highlight fehlt, aber wieder ziehen mich die Eiskolosse in den Bann. Ich entdecke Details,
ausgefranste Ränder,
Einkerbungen
ich kann mich nicht satt sehen.... und da 2 Wale... sie spritzen ihre Wasserfontänen weit in die Luft. Ruhig ziehen sie an den Eisrändern entlang.
Sia setzt nach exakt einer Stunde wieder auf Land auf... ein unvergessliches Erlebnis.
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Cornelia (Freitag, 24 August 2018 19:31)
Super geile Fotos Danke �⛑
Werner Weber (Samstag, 25 August 2018 06:51)
Deine Eindrücke, Franziska, ich kann voll mit leben!!! Begeistert.
Hansueli Märki (Samstag, 25 August 2018 13:26)
Sehr eindrückliche Schilderungen, Begeisterung bis nach Gstaad!!
Albert Müller (Samstag, 25 August 2018 15:30)
Deine herrlichen Schilderungen über das "zarteste Rosa am Himmelsgewölbe" erhebt dich zu den "Eisheiligen" und Illulisat erinnert mich an meine Republik am Ländersee...grossartig deine Schilderungen - ich "muss" nun nicht mehr dort hin -
Danke! Albert aus Gersau...
Anita Gamma (Sonntag, 26 August 2018 11:27)
Wunderbare eindrucksvolle Bilder. Ich stelle fest ich bin verschweizert. Ich brauche Grünzeug und Bäume.
Roland Gadient (Montag, 27 August 2018 06:26)
Deine Reisen haben immer noch einen Lerneffekt, mal die Aufnahmen sind sehr gut, bis Super und die unterschiedlichen Enstehungen Eises waren mir neu. Gruss und weiter so.