Wie war das doch in dieser Fernseh-Werbung für einen französischen Weichkäse?
Unter dem Eifelturm wartet der charmante silber-lockige Touristenführer François auf seine Gäste. Aber statt mit ihnen auf das Wahrzeichen zu steigen... geleitet er sie in ein Bistrot. Hmmm ein herrlicher Käse wird gereicht. „Der Eifelturm kann warten“.
Ja, so ein François....und das in Paris. Das Klischée total. Doch der Schönling erfunden.
Da hab ich es ja besser. Denn auf mich wartet MICHEL. Ich kenne Michel nicht. Aber der Treffpunkt ist abgemacht. Places des Abesses, Quartier Montmartre, 19.30. Ich schaffe es ganz knapp, nachdem mich Bus Nr. 95 bis an die nicht empfehlenswerte Endstation Porte Montmartre transportiert hatte. Hätte ich doch nur gleich Linie 12 der Metro genommen, die direkt zum Platz des Rendez-vous geführt hätte. Aber nein, ich wollte doch noch etwas von der Cité d‘amour oberirdisch sehen und landete dafür ganz ausserirdisch im städtischen Nirgendwo. Ein wildes Durcheinander von Ankömmlingen, die einem Flixbus entsteigen. Verwarloste Menschen hocken auf dem Boden. Säuerlich die Luft; die Toiletten sind überfordert. Ich steige über schmutzige gemusterte Decken, die am Boden ausgebreitent sind, auf denen noch schmutzigere Habseelikeiten wie durchgetretene Schuhe wohl verkauft werden sollen. Stimmengewirr... laute Rufe. Mulmiges Gefühl steigt auf. Der Eindruck, gleich ungewollt angefasst zu werden.
Und ......die Zeit drängt. Ein Taxi muss her. Endlich, endlich taucht eines auf. Mein Ziel stösst allerdings auf alles andere als Gegenliebe. Die Chauffeuse poltert und schimpft unter ihrer Afroperrücke ganz gewaltig und lauthals „Merde“... was.... nur so eine kurze Fahrt!! Ridicule!!! Lächerlich!!!“ schnauzt sie in ihr Telephon, an dessen Ende eine immaginäre Gesprächpartnerin über Lautsprecher ebenso enerviert ihre Entrüstung teilt. Aber da muss ich durch; die Fahrerin entflechtet schliesslich, und das ist die Hauptsache, meine gassentechnische Verwirrtheit. Entlässt mich, fluchend aber punktgenau, am Ort der Vereinbarung und ab jetzt wird es „très amicale“.
Man hat sich natürlich gegenseitig gegoogelt und so erkennen wir uns sofort. Herzlich Küsschen, Küsschen, als wären wir alte Freunde. Die kleine Gruppe ist schon komplett und Michel mustert unsere Ausrüstung. Meine Lumix erhöht seinen Adreanlinspiegel nicht sonderlich, mein I Phone auch nicht. Doch wir haben auch Teilnehmer mit Spiegelreflexkameras. Da kommt er ins Element, denn Michel ist Photograph und ich habe bei ihm die Phototour „Montmartre nuit“ gebucht, mit der Absicht, schöne geheime Winkel zu erkunden und vor allem meine Fototechnik zu erweitern.
Er spricht mehrere Sprachen, darunter auch Deutsch und so kann man sich multilingual bestens kommunikativ durchschlagen. Neben Touren für Fototechnik bietet er auch Shootings in der Stadt an. Familien, Paare, Einzelmodelle. Er wird mir noch seine tollen Arbeiten zeigen, doch jetzt bitte hinter die Linse.
Michel lotet geschickt unser bestehendes Wissen aus. Zuerst schärft er mein Auge für das Detail. Wo ist das Motiv an dem andere vorbeigehen.
Es sind besondere Farbkombinationen.
Die Kraft der Muster.
Etwas einfach Schnusiges
Schaufensterkunst
Der Entscheid schwarz-weiss zu gehen.
Nah an den Menschen, ohne aufdringlich zu werden.
Michel hat Tricks in seinem Repertoire und breites Wissen. Plötzlich erspähe ich überall Motive... Motive.
Le soleil se couche. Die Wolken erröten leicht über der Stadt, die sich zu Füssen von Sacré Coeur breitet. Die Liebespaare küssen... küssen. C‘est Paris.
Das ist Liebe für immer. Am Gitter hängen Tausende von Liebesschlössern. Hier sind sie noch geduldet. Anders als auf den Brücken. Das Gewicht der Schlösser hat die Statik der Brücken gefährdet.
Die Kirche feiert in den letzten Strahlen nochmals ihr marmoreskes Weiss.
Der Himmel verfällt in intensives Blau. Michels Augen glänzen.
Jetzt beginnt die „blaue Stunde“. Das beste Licht für diese Art von Aufnahmen. Die Mauern, die Plätze kleiden sich in pure Sanftheit. Champagner, pudriges Beige, lichtes Grau. Der Himmel gehauchtes Bleu mit rosa Federwolken. Die Farbverläufe zerfliessend, zart.
Eigentlich sollte ich ja nun Klick an Klick fügen. Jedoch die Stimmung vereinnahmt mich. Ich lasse auf mich wirken. Beobachte wie das Sombre der Nacht Winkel um Winkel, Häuserflucht um Häuserflucht erobert; die Silouetten der Bäume in die Länge zieht. Dann .... Erste Lichterketten, Scheinwerfer leuchten auf.
Meine Iris verengt sich. Plötzlich....Der vormals sanfte Himmel trägt, durch den Schein der Lampen provoziert, ein samtigdunkles Königsblau, welches das Rot der Fassade des Cafés am Place de Tertre noch mehr befeuert.
Aber viele Stühle bleiben heute leer. Es ist kalt. Zu kalt für einen Juniabend, wo hier das Leben brodeln sollte. Der junge Kellner mit Perret auf dem Kopf von der Brasserie gegenüber tippt mich an. Er hat wenig Gäste. „Venez Madame“, hören sie ihm zu... écoutez! Ich sehe ihn nicht, den Musikanten, aber ein Saxophon fliesst seinen Groove fast zitternd auf die Kopfsteinpfaster, die ihn refelektieten und in die Gassen verschwinden lassen. Blues. Blau. Ich verweile.
Ein Herzmoment.
Unsere Gruppe ist derweil schon weiter. Vorbei am alten Portraitisten, der eine wundeschöne Frau (sein Werk) mit der Gitarre besingt. Dabei schaut er sie an, als wünschte er sich, sie würde gleich lebendig von der Staffelei steigen.
Michel betritt eine Bar. Jugendstil vermählt mit Licht aus Pink et Rouge.
Der Pianist hat mit den beiden einzigen Gästen angebandelt. Zwei Deutsche Frauen. Er hüpft von einem Genre zum andern, um herauszufinden, was gefallen würde. Die Volumina der Akkorde verfangen sich in den hölzernen Jugendstilranken. Tanzen ein Pas de Deux. Für uns wenige hier.
Ein Spiegel erhascht uns.
Salut! Machen wir ein Bild.
Draussen hat die Nacht das Zepter übernommen. Zeit für das Stativ und die Kunst der langen Belichtungen.
Meine Lumix wird aufgeschraubt. Die Verschlusszeit auf 10 Sekunden gesetzt. Alle warten gespannt auf die Ergebnisse, wenn endlich der finale Klick ertönt. Die Laternen finden sich authentisch wieder. Die romantischen Gässchen. Ohh, ich habe was gelernt. Mit dieser Technik könnte ich auch die bunten Streifen der Rücklichter der Autos erzeugen, die in so machem Nachtbild spannende Effekte erzeugen.
Aber just an der Strasse unten, wo wir das üben wollen: Meine Kamera stibt den Akkutod. Von nun an bleibt mir nur das IPhone, das sich aber erstaunlich gut schlägt.
Zugegeben etwas Photoshop. Ich beichte es Michel. Schlechtes Gewissen. „Mais non, tu sais“, und zwinkert mir zu, „heute ist doch praktische jedes Photo nachbearbeitet. Das gehört heute zur Kunst der Photographie dazu. Gestalte einfach, wie es Dir gefällt und Deinen Gefühlen entspricht.“ Na dann.... weiter froh die Details des Montmartre entdecken.
Zarte Liebe
Graffiti
Stille Strasse
A travèrs
Die Tour hätte eigentlich 2 Stunden dauern sollen. Doch es ist fast halb zwölf. Ein Abschiedstrunk muss sein.
François mit dem Weichkäse ist längst vergessen. Michel hat mich auf das Liebenswürdigste begleitet, meine Tasche getragen, mein Wissen erweitert, meine Wahrnehmungen gefördert zur Zeit der „Blauen Stunde“.
Aber la couleur principale war nicht Bleu ...
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Rena de la casa (Samstag, 15 Juni 2019 12:02)
Superbe!
Diese Stimmungen, Details, die Farben und Momente - eintauchen in einer Welt der Gefühle.
Merci bien, ma chère!
Cornelia (Samstag, 15 Juni 2019 14:12)
Danke, hatte nun meinen Nachmittagskaffee im abendlichen Paris! Liebe Grüsse und freue mich schon auf den nächsten Ort, den ich aus deinem Blickwinkel sehen darf.
Müller Albert (Samstag, 15 Juni 2019 20:44)
Ein wunderbares Kaleidoskop von und über Paris! - Ich "muss" nun nicht dorthin...
Erna (Sonntag, 16 Juni 2019 16:22)
So schöne "Blaue Stunden" sind wirklich erlebenswert, auf nach Paris :-)
Hansueli Märki (Montag, 17 Juni 2019 17:27)
Schöne Reportage einer Stadt in der ich 13 Jahre gewohnt habe. Allerdings nahm ich nie einen Bus! Immer die Métro!! Super Aufnahmen, auch die mit dem iPhone.
Brava
Georges (Mittwoch, 19 Juni 2019 13:31)
Sehr authentische Schilderungen. Danke