Lay back

Wir entschuldigen uns für die Verspätung“, dröhnt es aus dem Lautsprecher.

„Unsere Zollschalter sind voll besetzt; zu Ihrer Sicherheit müssen wir sie leider hier zurückhalten und bitten um Ihr Verständnis. Letzteres bringe ich zusammen mit rund 300 hundert anderen Ankömmlingen nur sehr begrenzt auf. Gerade hatte uns der Deutsche Kranich per Jumbo mit grandiosem Anflug über die Berge weich in Seattle abgesetzt. 

Das übliche Gedränge beim Aussteigen. Alle wollen nur eins... schnell durch die Passkontrolle zum Gepäck. Aber nun stehen wir zusammengepfercht in einem fensterlosen Gang. Es wird auf italienisch, deutsch und englisch geflucht und bald auch geschwitzt. Das Land der Klimaanlagen hat ausgerechnet hier kein AC ( hiesiges Wort für aircondition) eingebaut oder jemand hat den Knopf nicht betätigt.

„Besten Dank für Ihr Verständnis... we are moving slowly but surely.“ Von „langsam aber sicher“ merken wir hier gar nichts. Keinen Yota regt sich die enervierte Passagierschlange.

Telefonbenutzung ist natürlich auch strengstens verboten. Wie immer auf amerikanischen Flughäfen. Doch dann kommt Bewegung in die Sache, zumindest bei den US-Bürgern. Diese zücken triumphierend ihren Pass mit den dekorativen Seeadlerseiten. Sie dürfen (unter zu Hilfenahme des Mobiles!!!!) eine App herunterladen.

Tipp tipp tipp... und schon sind sie befugt, uns 2. Klassimigrants mit schadenfreudig-süsslichem Lächeln zu passieren. Sie entschwinden; ich fühle mich wie ein gedämpftes Kaninchen. 

Der Lautsprecher versucht noch mehrere Male mit „slowly but surely“ zu trösten.  Noch weiss ich nicht, dass ich noch intensiv mit der „Kunst der Langsamkeit“ Bekanntschaft schliessen werde.

Schliesslich dürfen wir uns in die Schalterhalle der Passschalter ergiessen. Ich schnappe zum Glück noch auf, dass alle Inhaber eines elektronischen Passed an einen Bildschirmkiosk dürfen, um das Papier einzuscannen und so die Warteschlange zu umgehen.

Dem Zöllner legt man dann nur noch einen ausgedruckten Zettel vor. Ich kriege es mit Herrn Morales zu tun. Wie sein Name schon befürchten lässt, nimmt er es sehr genau mit den amerikanischen Sitten. Sein Äusseres hat der Hispanic mit Designerbrille und Gelfrisur aufgepeppt. Und Herr Morales hat Zeit... Zeit.... blättert ... blättert. 

Noch ein prüfender bohrender Blick:

„go ahead“.

Vor dem Flughafen wurde ich offenbar schon mit grösster Gelassenheit von einem Fahrer an den nächsten weitergereicht. Statt Alex winkt nun Sam, nachdem ich mich endlich am Treffpunkt einfinde. Ahhh .... no problem... u know.... slowly but surely.“

Ist das hier das Motto? Im obersten Nordwesten der USA? Kaum zu glauben, nachdem mich New York vor gut 6 Wochen atemlos durch die Stadt getrieben hatte.... wie würde es in dieser Stadt sein, die ich bisher nie auf meinem reisetechnischen Radar hatte: Portland Oregon. Nach 3 Stunden stopp and go auf der Autobahn werde ich es wissen. 

Riverplace Hotel
Riverplace Hotel

Herr Hess, mit Schweizer Namen und 50 cm Rastazöpfen geschmückt, zerfliesst an der Rezeption des Riverplace Hotels beinahe vor Freundlichkeit. Es ist gut 5 Uhr abends. Er  strahlt: Ach das Zimmer... hmmm ja kann noch dauern... aber beteiligen Sie sich doch gleich an unserem kostenlosen Winetasting in der Lobby... und bitte: Nehmen Sie sich Zeit!! Viel Zeit!!!“

Die Geduld wird mit einen grossartigen Eckzimmer mit Blick auf den Willamette-River. (Ausgesprochen Wiläämet) belohnt. Das Zimmer verfügt sogar über eine Yogamatte. Entschleunigung ist angesagt.

Da knüpft des andern Tags auch Jonny, mein Stadtführer an. Eigentlich sei er ja Sänger und Liedertexter, aber so zwischendurch die Stadt zeigen, das liege schon drinn. Zuerst geht es um die vielen Spitznamen von Portland, die gerade daran ist, mit 5000 Neuzuzügen pro Monat, sich an die Spitze der beliebtesten Cities zu katapultieren

Oft benutzt: PDX, die Flughafenabkürzung, City of Bridges (12), 

Beer City (177 Mikrobeauereien), 

Town of Roses,

oder Foodytown. Lukullische Verführungen an jeder Ecke in höchster Qualität. Relaxcity wird nicht aufgeführt, aber das ist, so Jonny, das Markenzeichen des Nordwestens. Überschwängliche Freundlichkeit un keine Eile bitte, schon gar nicht im Strassenverkehr. Und tatsächlich: In der Innenstadt flüstern die Autos im Schritttempo an mir vorbei und halten bereits, wenn ich eine Überquerung nur leicht andenke. Das funktioniert sogar mit der Polizei. Ich schlendere bei Rot und die Cops winken mich fröhlich durch. 

Jonny packt mich in seinen Van. Das Thema wird grün. „Ja wir sind hier extrem öko, Recycling, Pfandflaschen als erste in den USA eingeführt, der beste ÖV der Staaten (ja Taxis sind hier nicht sichtbar) und die Stadt gehört den Radfahrern, Füssgängern und man ist stolz auf die unzähligen Parks.“ 

Das bringt uns, den kleinen Hügel erklimmend, zum internationalen Rosen-Test-Garten. 600 verschiedene Sorten. Die Züchter schicken aus aller Welt ihre neusten Blütenträume hierher.

Ich schwelge im Rosenhimmel.

Die Tautropfen perlen auf den samtigen Blütenblättern. 

Opulente Düfte betören. Kecke Namen belustigen und manche Mélange aus Apricot und Pink befeuert bunte Fantasien. 

Weiter geträumt wird beim nächsten Stopp. Pinkock Mansion. Die verwunschene viktorianische Villa einer der zwei Gründerväter der Stadt, Mr. Pincock. Er stammte  aus Portland, Maine, sein Freund aus Boston. Sie vereinbarten, betreffend des zukünftigen Namens der Stadt, die Münze zu werfen. Wer gewinne, dessen Heimatstadt solle Namensgeberin werden. Pincock gewann. 

Nach grosszügig bemessenen 40 Besichtigungsminuten reicht es schliesslich noch - das Edelviertel „Nobhill“ durchquerend - für den Chinesischen Garten. 

Mobile Telefone nicht erlaubt. Der Kulminationspunkt der Entspannung zwischen Pagoden und Lotusblättern ist erreicht. 

Die Tour ist beendet. Als erfahrene Stadttourenteilnehmerin, weiss ich, dass man in diesen drei Stunden noch locker einige Höhepunke hätte einbinden können. z.B. das Alberta Kunstviertel, das Mississipi Quartier, den schönsten Japanischen Garten ausserhalb Japans, oder die brandneue Luftseilbahn, das Aireal-Tram.

Aber Jonny pflegt eben die lokaltypische Gemütlichkeit, und er entlässt mich mit dem Tipp, ja die kulinarischen Hotspots aufzusuchen. Kaffeeröstereien, Wein- und Beertours oder ausländische Restaurants. „Bitte sei nicht enttäuscht, wenn es regnet. Das tut es während 220 Tagen in Jahr. „Wer den Schirm zückt, outet sich als Tourist. Wir tragen nur Parkas, denn der Regen ist sprühnebelfein.“ Jonny grinst: „The Portland Mist.“ Die ersten Regenwolken rollen bereits an. Die Rettung:


Powell‘s Bock Shop! Der grösste Buchladen der Welt. Man nennt ihn „Die Stadt der Bücher“. An der Rezeption erhalte ich einen Plan, der durch zig Säle führt, alle mit 5 Meter hohen Gestellen gefüllt. 

Über eine Million Werke. Das Wetter ist vergessen. Ich verliere mich im Angebot. Beobachte die Kunden von Jung bis alt. Hier möchte

man weilen, weilen... stöbern.

Der Hunger meldet sich. Mal etwas wagen, hatte Jonny gemeint. Drei Blocks weiter: Der Name „Andina“. Bis auf den letzten Platz gefüllt. Spanisch denke ich, als ich die Menukarte studiere. Da tritt Doris Rodriguez an den Tisch. Inhaberin und Seele des Lokals. „Herzlich willkommen“, ich bin so erfreut und stolz, dass Sie die peruanische Kultur kennenlernen möchten. Sie zückt eine kleine Karte des Landes und erzählt mit grosser Wärme über ihre Heimat. Ihre Augen leuchten wie Sterne. Jetzt möchte ich nach Peru! Sie hat mein Interesse entzündet.

Doris Rodriguez mit Sohn José
Doris Rodriguez mit Sohn José

Der Quinotto, ein Risotto aus Quinoa mit schmelzenden Grano Padrano Stückchen verführt meinen Gaumen. Das Eis aus Lucúma, der Nationalfrucht, schmeichelt den Geschmacksknospen. Zart, wenig Süsse. 

Von Jonnys weiteren Aktivitätsvorschlägen lockt mich am nächsten Tag der Weinausflug. Das Willamettevaley ist ein liebliches Tal, welches sich 160 Km an die schützenden Bergketten der Kaskadenberge schmiegt. Der ideale Ort für Pinot Noir und Garten Eden. 

Alless wächst hier üppiggrün. Darunter auch Haselnüsse. Oregon produziert 90% des Bedarfes der USA. Eine friedvolle Gegend.

Ich besuche drei Weingüter,  bewundere die Passion, mit welcher die Portländer ihre önologischen Kenntnisse präsentieren, indess ich muss das Ergebniss auf den Stand zurückstufen, den wir in der Schweiz vor 30 Jahren hatten. 

Mein Vater, Paul, hätte gesagt:

 „So en Suuure trink i nöd!“

Lassen wir die Winzer von Oregon noch etwas üben. Zeit haben sie ja. 

Ich lümmle mich wohlig in einen hölzernen Liegestuhl auf herrlich frisch genittenem Gras, Duft der Jugend, der Wind in den Blättern der Eiche säuselt......

säuselt.

s.....äääu..... selt.

Ich dämmere weg.

Ich bin in Portland, in Oregon angekommen.


Tempore celebranti



(Ich zelebriere die Zeit)

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Kommentare: 7
  • #1

    Colette (Dienstag, 16 Juli 2019 06:36)

    Liebe Franziska
    Es ist wie ein Flashback deine Reise über Seattle im wunderschöne Portland zu lesen! Einfach einer der grossartigsten Ecken der USA, der Nordwesten . Habe vor längere Zeit auch mal im River Hotel gewohnt! Leider nie so viel Zeit gehabt diese Umgebung intensiver kennen zu lernen aber nur dran vorbei geschrammt jedes Mal. Nach deine wieder blumige anmächliche Umschreibung will ich das unbedingt nachholen.
    Freue mich schon auf die nächste wunderbare Story von dir! Aber eben, slowwww, no Rush!

  • #2

    Hansueli (Dienstag, 16 Juli 2019 09:21)

    Super, geniesse die Gegend. Wir waren das letzte Mal im September 1974 dort. Im Rosengarten! War damals schon eine sehr ruhige Stadt aber inzwischen wohl ein Paradies für nicht so wärmesuchenden Retirees! Vielleicht ist es jetzt noch zu früh im Jahr aber wenn Du an die Oregon Strände fährst und die riesigen Dünen besuchst, dann kann es durchaus sein, dass der sogenannte nasse Feinstaub sich zu dichtem Nebel verwandelt während im nahen Inland immer noch die Sonne lockt! Supergegend, geniesse Sie. Wir sind damals von San Diego rauf bis Vancouver gefahren und haben die gesamte Pazifikküste abgefahren, mit dem Auto!!

  • #3

    Margith (Dienstag, 16 Juli 2019 10:12)

    Liebe Francesca, danke für deine informativen und unterhaltsamen Reiseberichte. Gerade jetzt in der Reha geniesse ich sie um so mehr.

  • #4

    Müller Albert (Dienstag, 16 Juli 2019 12:05)

    "Wahnsinn" diese wunderbaren Erlebnisse in der weiten Welt, aber meine Frage:
    Warst du auch schon in der ehemals kleinsten Republik der Welt?...Der Gersauer lässt grüssen!

  • #5

    Werner Weber (Mittwoch, 17 Juli 2019 06:40)

    Liebe Franziska
    Deine Story, nicht die Zollformalitäten, solltest du ins amerikanische übersetzt, dem Tourismusbüro Oregon senden. Die würden dich glatt engagieren.
    Der Waldsee mit den derzeit wunderschönen Seerosen und den Riesenkarpfen von Steinhausen schämt sich nun ein wenig.
    Herzlich Werner

  • #6

    Marlies Kunz (Donnerstag, 18 Juli 2019 12:28)

    Liebe Franziska ....vielen herzlichen Dank für Deine
    Wunderbaren Einblicke in eine einmalig interessante Welt von Rosen � Büchern und vielem vielem Mehr ...ich wünsche Dir noch viele wunderschöne Tage in Deiner Zauberwelt....Mit einer lieben Umarmung...Deine Marlies

  • #7

    Dorte (Donnerstag, 18 Juli 2019 20:17)

    Also der Zöllner ist nicht mit Alex verwandt �. Der Rosengarten ist wirklich sehr schön, wir haben viele Fotos von dort. Ich hoffe du findest Zeit um den japanischen Garten zu besuchen und auch für einen Ausflug nach Colombia River. Weiterhin eine gute Reise.