Taesschenglueck

Schöne Alibiübung“, dachte ich, als ich das Ausflugsprogramm der Silverseas  studierte. „Saigon Coffeetour“. Vietnam, das ist doch Tee. Tee hochzelebriert. 

Tee?“, Henry schielt etwas verlegen nach links und rechts. „Tja also hmmm...“, nicht gewusst? Wir Vietnamesen sind verrückt nach Kaffee, und wir pflanzen ihn im zentralen Teil des Landes (neben Tee) auch selber an. So lande ich neugierig auf dieser Morgentour. Sie wird unerwartet der interssanteste Ausgang in Vietnam werden. 

„Hallo zusammen“, begrüsst uns Henry schon ganz aufgekratzt. „Coffeetime!!“

„Wir werden den Morgen landestypisch beginnen mit einem vietnamesischen Frühstück.“ Der Bus hält vor einem nüchternen Lokal à la Mc Donalds Optik mit dem Namen „Pho 24“.

Es gibt natürlich Kaffee, Ich habe die Wahl: „Black“ oder „condensed“. Das wird man mich jetzt immer bei der Kaffeebestellung  fragen. Sicherheitshalber „Black“, dabei wird sich später noch herausstellen, dass ich auf „condensed“ fliege. 

Der Kaffee ist aber eigentlich nur Nebensache. Es geht um die Nationalspeise „Pho“ ausgesprochen: „Fa“. Die Nudelsuppe, mit Gemüse, Rind oder Huhn, die hier rund um die Uhr gegessen wird. Henry grinst: Bitte beim Bestellen auf die Betonung achten: „Falsch betont und Du bestellst eine Liebesdienerin!“

Henry umschifft für uns diese akustische Klippe, und so schlürfen wir schon bald genüsslich aus dampfenden Schalen. Glitschig gemein schlifern sich die weissen Vermicellis dauernd von meinen Stäbchen.  Aber mit Übung: Köstlich. 

So gestärkt geht es weiter. Tatsächlich jetzt fällt es mir auf. Überall Coffeeshops, Coffeeshops.

Vor der Türe sitzen manchmal ganze Trauben von Menschen auf klitzekleinen niederen Plastikstühlen und haben einen Becher in der Hand. Tratschen, Diskutieren. 

Unser Ziel ist ein heruntergekommenes Mehrfamilienhaus, Plattenbau. An der Fassade hängen viele Schilder. „Das war einmal ein Wohnblock“, erklärt Henry. Die Wohnungen sind aber zu teuer, obwohl von Renovation keine Spur zu sehen ist. Alle Mieter sind ausgezogen. Jetzt haben sich kleine Unternehmen hier eingemietet. So eine Art vertikales Minishoppingcenter. Boutiquen, Handwerker und natürlich mindestens ein Coffeeshop. 

Richtig herzig hergerichtet. Die apricotfarbenen Wände versprühen Fröhlichkeit. Ein nächster Kaffee (Espresso) ist im Anmarsch. Ich geniesse auf dem Balkon.  Unter mir brandet der Verkehr. 

Das Gegeteil von „Kaffee inhouse“ ist „Kaffee outdoor“. Deshalb gelangen wir nun zu einem zentralen Park und da ist „Dschingiskhan“ der unangefochtene Platzhirsch. Sitzgelegenheiten? Keine.

Man bestellt bei ihm einen Becher und erhält vom Chef eine Zeitungsseite zum Draufsitzen. (Diese wird für die nächste Kundschaft weiterverwendet). 

Hier lässt sich gemütlich das Leben beobachten. Es ist Samstag. 

Die Familien sind auf der Piste samt Nachwuchs. Viele haben sich herausgeputzt. 

Man will noch für Neujahr tolle Fotos für die Verwandschaft schiessen. 

Die Kinderchen posieren brav. 

Der nächste Stopp ist nur noch für Kenner. Ein kleines Gässchen; eine Ansammlung von Leuten mit und ohne Moped. 

Sie wollen nur das eine: Den besten Kaffee der Stadt. In einem kleinen Räumchen wird jedes einzelne Glas von Hand zubereitet. Jetzt entscheide ich mich für den Klassiker „condensed“.  Da stehen Büchsen herum mit Kondensmilch. Fast schon wie in Cham bei der Anglo-Swiss Condensed Milk Company (heute Nestle). Ich nippe am Glas. Suchtcharakter pur. Wie früher, als Mutter die blaue Tube Kondensmilch heimbrachte und, wenn diese fast leer war, ich den Rest noch heraussaugen durfte. „Verbote guet!“ 

Ich lehne mich an die Wand. Es ist ein Familienbetrieb. 24 Stunden, CHF 2000 Umsatz soll man hier pro Tag generieren. Eifriges Hantieren auf schummrigen 6 Quadratmetern. Hui, das gibt einige Gläser und Berge von Blechbüchsen Kondensmilch.

Die letzte Lokation ist zum gemütlichen Abhängen gedacht. Hier treffen sich die Einheimischen zum Arbeiten, Plausch, Denken. 

Im Hintethof, in der Stube mit Grossvaterinventar oder auf dem heimeligen Balkon.

Ein Kaffeemorgen der herrlichsten Art.

Hier ist Ruhe

Hier ist einfach Kaffee

... und ich. 

Allerdings, was ist jetzt mit Tee?

Ich beschliesse das Thema auf Singapur zu verschieben.

Auf hohes Niveau nota bene.

Eigentlich nichts weniger als das Raffles hatte ich im Visier, um dem legendären Afternoon-Tea beizuwohnen. 

Doch im Raffles blieb ich an der noch berühmteren Bar (nächster Blogartikel) hängen, weshalb für Raffles keine weitere Zeit zur Verfügung stand.

Mir steht der Sinn nach ganz Konträrem.

Ich habe mich in die Kunstwelt der Einkaufscenter verschoben. Nicht weil ich dort Materielles begehrte, nein, zwecks Herunterkühlung meiner Körpertemparatur

sowie zur Beobachtung, zum Bestaunen dieses artifiziellen Ambientes. 

Zwischen Diamanttotenkopf, schreiend roten Lederwänden und stillen kahlköpfigen Puppen, 

Unerwarteterweise gerate ich gerade hier im neonlichtkultigen  ION-Center an den Tee:

Eine Oase der Geborgenheit und alter Zeit. Ein Tearoom der legendären Marke Twinings, gegründet 1837 in Singapur. 

Ich sperbere gerade ein freies weiss gedecktes Tischchen und setze zur Erstürmung desselbigen an. „Sorry, queue please, Madame“, räsoniert mich ein weissbefrackter Kellner in klangvollstem British, die Nase eher etwas weit oben tragend. Sein Blick unter den leicht hochgezogenen Augenbrauen belegt mich mit einer Mischung aus Mitleid und Befehl. 

Aha... anstehen.... sehr weit hinten anstehen. So weit, dass mir schon mal die Karte in die Hand gedrückt wird, in der Hoffnung, ich hätte mich, falls ich die Poolposition erreiche, durch die rund 360 Teesorten durchgepflückt und befände mich nahe einer Entscheidung.

Wer die Wahl hat, hat die Qual.

Meine wird aus Effizienzgründen simpel.

Das Afternoon-Combi mit Tee und Fingersandwiches und Scoones tönt für 35 Sing Dollars (natürlich teuer), aber immer noch kreditkartenschonender als Einzelbestellungen. Nach einer halben Stunde sitze ich an meinem weiss eingedeckten Tischchen. Aus einer güldenen Kugelkanne fliesst wie flüssiger Bernstein „The Tea“. Ich lasse grobkörnige Zuckerkristelle rieseln, die sich glasig am Boden der Tasse sammeln. 

Auf einer Porzellanétagère strahlen mich mundtastische Kreationen an. Und die Scoones auf der obersten Ebene versprechen ein very Britisches Finale. 

Ich fühle mich als

 „Her Highness Francesca“, eine Sinnestäuschung, die für diese Investition, wie ich meine, kurzfristig zugelassen sein sollte. Und die Queen hat ja nach dem Mexit eh aktuell noch Platz auf der royalen Liste. Meine Begeisterung bringt den Kellner dazu, sich als Fotograf anzubieten. Achtung, Tasse gerade halten!

Seine (des Kellners) Emsigkeit ist allerdings auch von seinem, leider schlecht getarnten, Wunsch getrieben, mich als Einzeltischchenbesetzerin möglichst bald wieder loszuwerden. Die Warteschlange hat sich verlängert. So schleicht er in regelmässigen Abständen in meinem Rayon vorbei, räumt mir den Teller ab, (während der letzte Scoonesbrösel noch auf meiner Zunge schmilzt), beflissentlich darauf achtend, dass sich mein Kännchen endlich leere. Sein Lächeln mutiert deshalb in Richtung schockgefrorene Serviliät, als ich süss noch ein Teesorbet für nur 5 Dollar bestelle. 

Exta langsam.... sehr extra langsam zelebriere ich Löffel .... für Löffel. 

Diese herbe Sweetness sei jedem empfohlen. 

Alsdann erlöse ich den Ober und lasse mich am Ausgang von den schmucken Teedosen verführen.

Vielleicht entsage ich doch in Zukunft dem Kaffee und werde zur Tee-Fee. 

Zu gerne hätte ich ein Krüegli aus „Aurum“ mitgenommen. 

Sein Glänzen:

Es hätte mich stets an diesen „fürnehmen“ Nachmittag erinnert.

Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Thea (Samstag, 25 Januar 2020 15:35)

    Riesenkirschtortengeburt heute in Zug, Tee und Kaffee aus Vietnam! Die Gedanken und deine Bilder, passend. Gute Weiterreise und danke

  • #2

    Martin Walter (Samstag, 25 Januar 2020 22:20)

    Danke für den netten Bericht über Ihre Reise. Leider ist der Kaffee des zweitgrössten Produzenten nicht gerade durch seine Qualität bekannt; handelt es sich dabei um mehr als 90 % um Robusta-Bohnen. Daneben wird die Anbaufläche durch den Klimawandel laufend reduziert.

  • #3

    Babs Nadrai (Montag, 27 Januar 2020 12:15)

    Hallo Franziska,
    Wo ist auf Deinem Blog die "HELFEN"-Seite für das Hilfswerk "Solidarität Dritte Welt" verschwunden ?

    Gruss Deine Schwester

  • #4

    Rena de la casa (Samstag, 01 Februar 2020 11:04)

    Nach langer coffeetime geniesst du eine veritable teatime, sogar die scones fehlen nicht.
    Farbenfrohe Bilder, amüsante Storys, natürlich mit dir mittendrin.
    Grazie Francesca

  • #5

    Georges (Montag, 03 Februar 2020 18:31)

    Ein kleiner, treffender und berührender Einblick ins vietnamesische Leben von heute.
    Nichts ist mehr gleich wie vor 15 Jahren.