„Superb“, dachte ich am 19. Januar noch, als ich meinen Blick über die Marina von Singapur gleiten liess. Ich fühlte mich fast kosmopolitisch. Ja, die Nachrichten waren zu mir durchgedrungen. Deren Inhalt aber irgendwie doch weit weg. Wieder daheim und 6 Wochen später:
Der hübsche Alain mit dem Bernardinerblick und der stoische Daniel mit den ET-Ohren haben toute la Suisse eingesperrt. Plötzlich ist die weite Welt unwichtig. „Bleiben Sie zuhause“. Die Türklinke meiner Haustüre und die Desinfektionsflasche mutieren zu siamesischen Zwillingen. Mein Aktionsradius endet vorerst beim Briefkasten.
Nach zig Pressekonferenzen beerdigen sich alle globalen Reisepläne; das ist nicht schlimm, aber Freunde, Bekannte sind in Not. Mut zusprechen, helfen, reflektieren.
Irgendeinmal wird es ruhiger; Man hat sich auf die Krise eingestellt, rationales Denken, Kreativität gewinnen wieder an Platz. Und da kommt sie doch wieder angeschlichen. Sie, die mich über den Globus treibt.
Die Neugier!
Auf den einsamen Spaziergängen tut sich mir eine Wunderwelt auf. Nicht ennet dem Aequator, nein vor der Haustüre.
Habe ich je die Veilchen unter den Linden am Lothenbach entdeckt?
Das flaumige Weiss des Lavendels in Nachbars Garten gestreichelt?
Gut getarnt das Männchen der Mandarinenente beobachtet, wie es für seine Angebetete 10x 20 x auf den Boden des Zugersees abtaucht, um für sie einen Schnabel voll Seegras zu pflücken?
Habe ich je gewusst, wie eine Erle blüht?
Ihr frischgrünes Erwachen gespürt?
Unbekannte botanische Schönheiten bewundert, wie ihre Knospen zum Silbergrau der Wellen kontrastieren?
Aber wenn die Segelschiffe über den Wasserspiegel ziehen,
Jetzt haben sie uns nach langen Wochen wieder rausgelassen. Zuerst stand ich unschlüssig am offenen Gatter. Quo vadis? Kann man wieder? Soll man schon? Ich bin für JA. Ich bin für: Unterstützen wir Schweizer Betriebe. So geht es nicht lange und Raphael Herzog vom Vitznauerhof ist kontaktiert. Ich werde am 1. Tag des Openings dabei sein.
Gwunder, Gwunder.... wie wird das sein?
Der erste Blick auf den Parkplatz verrät es mir: Gut gefüllt. Basel, Züri, Bern, und Vintage Chrom aus dem Ländle
mit roten Cockpit ist auch vertreten.
Das Betreten der Lobby mit Jugendstilflair ist wieder wie Heimkommen. Das Team hat sich in die anstehende Herausforderung gestürtzt. Und ständen nicht die Plexiglasscheiben bei der Rezeption und Desinfektionsfläschchen da und dort. Man würde den Pandemiemodus nicht bemerken.
Die Details gepflegt wie immer,
die Tische unter der Pergola diskret auf Distanz geschoben. Schon werde ich vom Maitre de Service mit Austria-Charme zu Tisch begleitet.
Es sitzt sich genüsslich so nah au bord du Lac. Das ziselierte Geländer, die hellen Vorhänge, die sich ab und zu in einem Windstoss bauschen.
Der Prosecco perlt sich in ein Glas.
Auf das Leben!
Neben dem Gedeck fällt mir nun etwas Ungewohntes ins Auge. Ein laminiertes Kärtchen mit diversen QR Codes. Vor ein paar Wochen hätte ich mich noch gefragt, was das soll, aber wenn man in dieser diffizilen Zeit sein Wissen erweitern konnte, so im digitalen Bereich. Schnell das Phone gezückt. Wie praktisch. Die Speise- und Getränkekarten digital. Der Ober erklärend: „Ja das erspart uns das Reinigen der Karten.“
George Orwell hätte ab meiner futuristsch-keimfreien Entscheidfindung zugunsten der Schweizer Lachsschnitte sicher seine helle Freude gehabt.
Bis der Fisch von grünem
Spargel eskortiert heranflösselt, gebe ich mich meiner Lieblingstätigkeit hin. Der Beobachtung. Statt mit Orwell der Zukunft zu huldigen, verlieren sich meine Gedanken in Zeit und Raum.
Das Hotelgebäude aus 1901, wo sich schon Hermann Hesse und Richard Strauss unter der viktorianischen Oktagonlaube verwöhnen liessen,
erinnert mit seiner verspielten Architektur an Modelleisenbahnromantik.
Das Publikum: Nicht von hier und jetzt. Hat nicht Auguste Renoir ici seine Staffelei platziert? Weisse, duftige Kleider, Strohhüte mit Ripsband.
Noch fehlte ein Picknickkorb aus dem der Hals einer Weinflasche lugte... die Szene des „Bal de moulin de la galette“ wäre erstanden.
Die Steinamphore entführt mich in der Dämmerung nach Taormina.
Der Kaskadenbrunnen nach Castell Gandolfo.
Und mais oui. Das ist nicht See, da funkelt doch das Meer. In Begleitung der „äusserst seltenen“ südamerikanischen Smaragdkopfente kann das Vierwaldstätterwasser auch in karibischem Türkis boosten.
Und nichts weniger als St. Tropez
vermitteln die anlandenden Pedrazzinis und Power-Jachten.
Aus ihnen entsteigen die Liebhaber von Designer-Mode, Markensonnenbrillen, Segeltuchchinos, Gel das zurückgekämmte Haar fixierend, die weibliche Begleitung mit braunem Täschchen mit Erkennungsstatus....
oder Halter von irischen Wolfshunden, die ihre kalbshohe Grösse wie einen Bettvorleger unter einem Bistrotisch zusammenfalten.
Sie alle halten nach der Quarantäne nach dem Besonderen Ausschau. Gerade recht das neue „OFYR“ auszutesten.
Ein rauchfreier Tischgrill mit Kohlekuben aus Kokosnussschalen. Häppchen vom Land und zu Wasser werden nach erfolgreicher Einheizung gereicht.
Jeder Gast, sein eigener Grilleur. Spass garaniert.
Über den Flammen eröffnet sich den Gourmets ein fantastischer hawaianischer Anblick, denn der Bürgenstock hat eine waldige Decke übergeworfen, deren Falten sich wie an den Steilküsten Kauais über die vertikalen Einschnitte legt.
Auf so exklusivem Parkett sind natürlich auch die Stars nicht weit. „Adele“ in vordiätischer Dimension, hat ihre Familie um sich geschart. Golden fallen ihre Locken, trittsicher balanciert sie auf schwarzen Heels und Kobrakleid über den Steg nach Bora Bora, wo die Roségläser der untergehenden Tropen-Sonne ein letztes Farewell zuprosten,
derweil in 20 Meter Entfernung die Gäste im 17 Punkte See-Restaurant „Sens“, Richtung Japan abgehoben haben.
Gastkoch ist der Besitzer des berühmten „Yamma“ von Davos. Seine charmante Gattin ungarischer Provenienz führt durch das Sushi Menü surprize.
Das Fingerfood ist gesegnet durch Fertigkeiten, erlernt in der Sushiakademie von Tokyo.
Was brauche ich den Fujiyama, wenn sich vor mir bei Sake und passionsfruchtbeträufelten Jakobsmuscheln das Buochserhorn vulkangleich vor mir erhebt ?
Bevor die Dämmerung das Wasserspiel verschluckt, ein letztes Boot. Insider.
Sie wissen schon, dass die delikaten japanischen Häppchen auch per „boat-drive-in“ abgeholt werden können.
Jetzt kommt auch Raphael Herzog, der Direktor, um die Ecke. Er öffnet die Türe zur Küche, und ich darf den scheuen Meistros kurz zuwinken. Raphael strahlt, das Opening ist gelungen. Erleichterung.
„Hoffentlich geht es so weiter und toll wäre, wenn sich auch Gäste für Übernachtungen zur Beginn der Wochen melden würden (Montag, Dienstag, Mittwoch). Die annullierten Firmen-Seminare, können mit dem Wochenendgeschäft nicht wettgemacht werden. Wir denken positiv und geben all unser Herzblut für einen unvergesslichen Sommer.“
Ein letzter Drink. In Hongkong? In Miami? Das Ambiente des Sens beflügelt nochmals meine Fantasie. Die Grenze ist nur mein Gedanke.
Über mir ein inzwischen ungewohntes Geräusch. Zusammen mit „Giacometti“, der übergrossen Statue, deren Erschaffer niemand kennt, schaue ich dem weissen Strahl nach.
„Giacometti“ und ich.
Wir blicken in die Weite...
ins Infinite, wo unsere Träume wohnen.
Mag sein. Vitznau ist nur die kleine Freiheit.
Aber wenn ich will, ist Vitznau die Welt.
Kommentar schreiben
Barbara (Samstag, 23 Mai 2020 01:25)
Liebe Franziska: Merci beaucoup für deine schillernden Reiseimpressionen. Ja, auch ich unterstütze die Schweiz dieses Jahr und bleibe am Vierwaldstättersee. Mein "erster" Ausflug seit der Lockerung wird auch der Vitznauerhof sein und mit der Autofähre (Beckenried-Gersau) eine landschaftlich schöne Anreise. DANKE für deine Inspiration dazu!
Marie Volle (Samstag, 23 Mai 2020 10:40)
Liebe Franziska, vielen vielen Dank für deinen wunderbaren Reisebericht und deine Tips. Auch wir werden die wunderschöne Schweiz, vor allem den Vierwaldstätter See noch mehr kennenlernen
Peter und Martha (Samstag, 23 Mai 2020 11:34)
Super, toll, die Schilderungen wie die Bilder.
Das Schöne liegt doch so nah - man muss nur die Augen öffnen!
Martin (Samstag, 23 Mai 2020 14:03)
Ob von nah oder fern
Immer wieder super deine Berichte�
Cornelia (Samstag, 23 Mai 2020 15:28)
Lieben Dank für deinen Nahbericht, gibt ja wirklich überall Schönes. Man muss es nur sehen. Liebe Grüsse.
Jürgen (Samstag, 23 Mai 2020 15:33)
Wieder mal eine brilliante Zusammenfassung der letzten Wochen.
Danke Franziska
Gruß
Jürgen
Rena de la casa (Samstag, 23 Mai 2020 15:50)
Wie immer: francesca berichtet mit viel Esprit und bietet die farbenfrohen Fotos gleich mit.
Warum bloss in die Ferne schweifen?
Recht hat sie...
Albert Müller (Samstag, 23 Mai 2020 16:17)
"Superb" dein Bericht vom Ländersee und Vitznauerhof - vor allem gefällt mir jenes Foto von Vitznau zum Bürgenstock und Stanserhorn!
Maria (Samstag, 23 Mai 2020 21:15)
Hatte schon deine Berichte vermisst. Herrlich wie du auch aus nächster Nähe soviel Schönes siehst und beschreibst. Auch wir, haben nicht das Haus gehütet, sind immer wieder gewandert und haben viele neue Wege an uns so bekannte Ziele geführt. Wie heisst es doch: Warum in die Ferne schweifen, das Schöne ist so nah.
Doris Schweizer (Sonntag, 24 Mai 2020 10:52)
Liebe Franziska
Wunderschön beobachtet und geschrieben - sehr inspirierend! � Wir entdecken unsere Heimat neu, schätzen die Schönheit und Einzigartigkeit, schärfen unser Auge für die wunderbaren Details! �Dank unserer grenzenlosen ( �!) Fantasie können wir auch in die Ferne reisen und unser Herz an vielen einzigartigen Erfahrungen und Erinnerungen erfreuen!
Geniess diese spezielle und einzigartige Zeit! Ich freue mich schon sehr und bin gespannt auf deine nächsten Blogs!
Herzliche Grüße
Doris
Oswald (Montag, 08 Juni 2020 12:26)
Ja, liebe Franziska, deine Reportage könnte einem dazu verleiten, auch sofort im Viznauerhof zu buchen... oder auf jeden Fall viel mehr auf die vielen Einzelheiten in unserer Landschaft und in unserer nahen Umgebung zu achten. - Ich will die Augen für die schönen Details offen halten.
Vielen Dank für den tollen Bericht.