Crossover

„Dr Tyfel soll die Brücke bauen!“

Die Bauern des Ursenentales waren schon immer kreativ im Allianzen schmieden, wenn sie selber nicht mehr weiter wussten. Der Deal mit Mephisto sollte es richten, denn der Bau eines Übergangs schien für Menschenhand unlösbar. 

Unter mir rauscht eisiggrün die jugendliche Reuss. Heute kann ich gefahrlos über die Teufels-Brücke schreiten, denn die Andermatter haben damals den Teufel  ausgetrickst. Er forderte als Lohn die Seele des Ersten, der die neue von ihm erbaute Brücke überqueren würde, doch die Bauern schickten einen Geissbock voraus. 

Wie raffiniert. 

Hinter mir verschwindet der Fluss im Engnis der Schöllenen und vor mir öffnet sich das Tal. Nach der Schroffheit des Felsen-Couloirs, der Blick: weites Tal umrahmt von bergigen Spitzen. Der Flecken atmet Freiheit. Nicht nur topografisch. 

Auf der Kaserne weht stolz und stramm das Schweizer Kreuz im Wind. Andermatt Gotthard: Der Inbegriff unserer Résistance. Mehr Schweiz geht nicht. Hier hüten wir unsere Geheimnisse. Die Festungen in den Bergen, die Stollen, die Felsattrappen. Viel Unbekanntes wurde gelüftet, aber eben doch nicht alles. Du spürst, die Berge verstecken noch einige Secrettos. Sie schweigen eisern. Und die Andermatter mitten drin als hinterwäldlerische Hüter des Vaterlandes? Von wegen. 

Der Austausch über die Pässe. Der Espresso kommt immer ohne Kaffeerahm. Italianità lässt grüssen. Die Valser zogen durch das Tal (und konstruierten die Teufelsbrücke). Die Tunnelbauer aus Portugal und Latien hinterliessen ihre Spuren und wohl auch einige heissblütige Gene. Suworows Gefolge pilgert noch jählich an die Matte. 

Und jetzt nach dem  Schulterschluss mit einem ägyptischen Investor treibt neue Dynamik das Dorf. Mit Staunen verfolge ich die Veränderungen bei jedem Besuch. Ich bin auf der Spur nach Neuem, nach der Fusion, der Vermischung. Angelockt hat mich heute der neue Konzertsaal, der direkt an das Radisson Blue abgebaut ist. 

„Alpine Classics“ möchte mit dem Janoska Quartett glänzen. Solange solches möglich ist. Ein Konzert. Nix wie hin!!

Aber gell.... Maske nicht vergessen.

Nun denn... ich gewande mich artig mit einer schwarzen Gesichtsbarriere.... und trete in die Lobby.... Huuu, ich als Alien... das 50-Plus-Publikum, das sich in der Halle ohne Distanzetikette tummelt, schenkt mir aus diversen Ecken mitleidige Blicke. Erst im Foyer des Salle de Musique beginnen fast unisono die Verhüllungsaktionen und der operationssaalkompatible Einzug in die heiligen Hallen beginnt. 

Beim Anblick des Intérieurs jubelt mein architekturaffines Auge. Das helle Holz. Die Weissen Akustikwolken. Frohe Leichtigkeit.... und die steigert sich zum Höhenflug, als die Janoskas die Bühne betreten. 

Die Ouvertüre von Figaros Hochzeit durchzittert den Saal, und das ist das letzte Mal an diesem Abend, dass ein Stück in Originalversion bis zum letzten Ton durchhält. Alles Weitere ist Fusion. Beethoven und die Beatels werden verquickt mit Jazz und Improvisation. Und lassen die vier Genialen erst den Cárdás los. Die beiden Geigen bringen 1000 Libellenflügelschläge zum Zirren. 

Der Raum füllt sich mit dem einen Gefühl, das die Musiker mit dem Publikum teilen. Endlich wieder! Endlich einfach zusammen Musik geniessen. 

300 Masken reisst es von den Stühlen. Franzisek am Flügel lässt die Tirraden kullern. Eine teure Geige wird zur Gitarre 

und das Cello zelebriert gezupftes Timbre. Wir lassen uns wieder auf die Sitze fallen. Die Saiteninstrumente heben ab. „Air“ von Johann Sebastian Bach. Ich schwebe, schwebe über Andermatt. Die Welt ist gaaanz weit weg. Gegen Ende infiltieren die Künstler auch dieses Stück mit ihrem Genre und alsbald finden wir uns bei Paul Mc Cartny wieder. Die Streicher säuseln; 

der Pianist pointiert ein dreifaches Staccato  „Let- it-Be“. Die Brüder Janoska reissen und alle mit. Wir werden Teil des Songs. Alle singen mit. Standing Ovation... fehlt nur noch, dass wir die Lampen unserer Handys schwenken. Ja dieser Moment hätte wohl so nicht sein dürfen. Aber er wird unvergesslich bleiben. Wir alle hatten für  einige Wimpernschläge unser 

„altes“, unbeschwertes Leben wieder. Ein Crossover der sinnlichsten Art. Das, was wir uns so sehnlich zurückwünschen, mischte sich für einige Akkorde mit der aktuel skurrilen Situation.

Augenblick.... verweile doch Du bist so schön. Goethe hätte es gefallen..... und Mephisto auch.

Tags darauf: Hoch hinaus. Zu einem der zügigsten Orte Helvetiens. Da, wo sich der steife Wind in den Rotorblättern der Mühlen verfängt und diese wiederum von wolkiger Zuckerwatte für ein paar  lange Sekunden verschluckt werden, um wenig später wieder aus den Nebelschwaden aufzutauchen, posierend vor felsigkantiger Kulisse.

Die Hightechgondel flüstert mich bergwärts. Vorbei das knackige Rattern, wenn die Luftseilbähnli meiner Kindheit über den Ausleger des Masten stotterten.

Nun: Stilles Schweben hinter anthrazit abgetönten Scheiben. Ich beobachte die weissen, nebulösen Fetzen. Wie sie treiben, vereinnahmen, verschlucken und wieder freigeben. Und da ist es: Das neue Haus „Gütsch“. 

Eine der neusten alpinen Architekturperlen.  Luftig-puristisch. Filigrane Stützen tragen den Baukörper. Fast wie Mikadostäbchen vor dem Fall. Ein „Crossover“. Uriger Hügel (Gütsch) trifft futuristische Baukultur.

Der Gwunder auf die beiden Restaurants ist lanciert. Das Chedi soll hier ein sagenhaftes Japanisches betreiben. Ich stosse den Türgriff. Keine Bewegung. Schade. Ciuso. Aber plötzlich, ein leises Klicken. Sesam öffne Dich. Ich stehe „Fugo“ gegenüber. Nein nicht dass ich hier oben russisches Roulette spielen möchte, aber der  in Anzug / Kravatte herausgeputzte Jungwirt, der  den Türspalt ausfüllt, versprüht den Charme eines Kugelfisches im Verteidigungsmodus. „Wir haben geschlossen“, lässt er dürr wissen.  „Wir sind auf Recherchetour, ......vielleicht für ein anderes Mal!“ Mit dieser Entgegnung  verknüpfe ich die Hoffnung.... doch einen Blick.... einen kurzen.... ein Foto....Gut eventuell hätte ich mit einer schwarzen Kreditkarte oder einer Edeluhr vor seiner Nase herumfuchteln müssen. Nun, der Gérant scheint der angedachten Fusion meiner Wanderschuhe mit seinem Sashimi-Tempel eindeutig nicht zugetan. 

Deshalb Bye bye ... Mr. Fugo. 

Ums Eck herum wartet der Eingang von Markus Neffs Wirkungsort. Der bekannte Meistro der Pfannen und Töpfe hat unlängst Saas Fee verlassen und sorgt nun auf 2340 m für gastronomische Hochgefühle. Schon die Architektur des Intérieurs begeistert. An der Decke fächern sich Balken, von denen jeder einzelne  passgenau für seine Position zugeschnitten wurde. Die Gebäudehülle mit aufgeklebtem San Bernardino Gneis  kontrastiert mit fahlhellen Hölzern. 

Die Panoramafenster und die Terrasse zelebrieren die Landschaft.  

David, der Gastgeber mit Austria-Herzlichkeit, lässt schon bald den Korken poppen;

die Speisekarte verspricht mundial Hochkarätiges:  Perigord Trüffel, Loups de Mères, Shrimps, Tartars  und mosaikdrapierte Pulpos geben sich die Ehre. 

Für mich wird eine Rheinfelder Garnele in einer köstlichen Bisque zu ihrem finalen Bade aufschwimmen. 

Das Gebotene schmeichelt dem Gaumen. Summa summarum allerdings eine Mainstream Delicatessa. Das könnte auch im Unterland in urbaner Umgebung geboten werden. Sicher spannend: Seafood trifft Urner Granit. Ich hätte mir aber vorstellen können, dass an diesem Schnittpunk der Schweizer Ess-Kulturen , wenn auch durchaus abgewandelt, einige lokale Spezialitäten die Einheimischen und Gäste aus aller Welt begeistern könnten. Polenta, Capuns, Walliser Käse mit denen der Spitzenkoch Kreativ-Neuartiges zaubern könnte.

Es geht hinaus. Der Wanderweg (eher eine Fahrstrasse) führt  praktisch eben zum Lutersee. 

Die Kulisse roh. 

Der Schijenstock und der Schneehühnerstock faszinieren mit karger Schönheit. 

Grüne Flechten, kantige Brocken säumen die Strecke. 

Wäre nicht Corona,  würde sich wohl Muli-Kulti auf diesem einfachen Terrain tummeln. Exotik würde sich im Schweizer Herzen vergnügen. 

Es bunt gestalten.

Ein pfleglich-gemütlicher Ausflug war das, der mit der gondeltastischen Talfahrt wieder zurück nach Andermatt endet. Die Nationalfahne flattert immer noch am Talausgang.


Das weisse Kreuz auf Rot.

Gerade hier fällt mir auf, dass dieses Symbol viel weiter geht, als ich bis jetzt dachte. Es steht für die Offenheit unseres Landes. In Andermatt führen von allen Himmelsrichtungen neue Impulse ins Tal, ins Zentrum. 

Mehr als Kreuz, viel eher Kreuzung. Brückenschlag, Verbindung.

CROSSOVER

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Kommentare: 6
  • #1

    Reiner Kötter (Sonntag, 30 August 2020 19:04)

    Liebe Franziska, Andermatt, das Hospental begeistert mich immer wieder und es freut mich, dass es Dir offensichtlich ähnlich geht - toller Bericht! Ich hatte mal vor einiger Zeit während vier Jahre eine Wohnung in Realp und habe das Tal per pedes, per Bike, per Ski und Motorrad in all seinen Facetten kennen gelernt �. Ich wünsche Dir weiterhin viele schöne Entdeckungen in unserer unmittelbaren Nähe. En liebe Gruess, Reiner

  • #2

    Charly Keiser (Sonntag, 30 August 2020 19:41)

    Herrlich Franziska!

  • #3

    Rena de la casa (Sonntag, 30 August 2020 20:09)

    Du wanderst auf Innerschweizer Pfaden! Weiter so, Francesca!

  • #4

    Albert Müller (Montag, 31 August 2020 18:59)

    Liebe Franziska - auch in nächster Nähe zeigt sich eine herrliche Crossover-Welt mit einer vielfältigen " an der Matte" - Landschaft - mit Kaserne ( erinnert mich an meine OS ) und Kultur mit Janoskas und Mainstream Delicatesse… Bravo Innerschweiz!

  • #5

    Thea Kalt (Mittwoch, 02 September 2020 22:27)

    Dank Deinem Crossover habe ich ein vielfältiges Urnerland entdeckt: Landschaft, Musik, Architektur, Kulinarik, ein wunderbares Bild unserer Innerschweiz

  • #6

    Oswald Weber (Montag, 26 Oktober 2020 15:49)

    Dein Reisebericht lässt mir die Gegend um die "Matte" wieder ganz interessant erscheinen. Es weht offenbar gar kein Wind von Reduit mehr. Weltoffenheit ist nun angesagt, eine Offenheit, die sich auch in der Architektur, der Kultur und in der Gastronomie zeigt.
    Der Beitrag ist ein richtiger Reiseführer für Interessierte. Herzliche Gratulation.