Trudi sei dank

„Trudi sei Dank!“ Geschichten haben die Tendenz, sich zu wiederholen und in Sachen Genfersee, verfolgt mich permanent das Aussichtspech. Wann immer ich an den Gestaden erscheine, der Mont Blanc und seine bergigen Kollegen am Gegenufer machen frei und verziehen sich ins Gewölk. 

So ertrage ich den Dauerregen in Genève anlässlich meines Escapes mit Fassung. Das Highlight des Tages ist aber trotzdem ganz besonders. Nachdem ich mich spazierhalber am Quai Wilson bis zum Botanischen Garten durchgewässert habe, gönne ich mir in der Innenstadt noch ein paar Stopps bei den Edelfenstern.

Bei Patek Philippe blinzelt mich der Kronleuchter an. Ich wage es!


Der Kundenraum erobert im Sturm mein Belle-Epoque-Herz. 

Der kahlköpfige Sicherheitsmann im dunkelblauen Doppelreiher teilt allerdings meinen fotographischen Enthusiasmus nicht und verweigert nicht ganz überraschend sein Placet für ein Bild: „Sicherheit!!“

Aussenaufnahme
Aussenaufnahme

Deshalb versuche ich es mit geschichtlichem Interesse, das ja in meinem Fall keineswegs nur vorgeschoben wäre. Ein Verkäufer, dessen Name sich französisch-beschwingt mit einer Brokatbrosche assozieren lässt, erliegt meiner Wissensdurstigkeit. Minuten später schwelgen wir im emotionalen Gleichtakt unter den irisierenden Lüstern. 

Schwärmen von den Gründerzeiten der Manufaktur. Begeistern uns für Mahagoni und Goldbordüren. Und vielleicht ist es meine Bemerkung, dass ich vor einigen Jahren das Museum Patek Philippe mit einer Führung besuchen durfte und ich es als eines der besten Museen in meiner Reisekarriere eingestuft habe. Ist es dieser beiläufige Einschub, der mich nun in den Olymp führt? Monsieur ist jedenfalls so angetan, dass er mir galant eine Lifttüre  aufhält „Après Vous, Madame“ und mit mir in die oberen Stockwerke entschwindet. Ich gelange in die ehemaligen Büroräumlichkeiten von Herrn Stern und à la suite ganz zuoberst in den Repräsentationsraum, wo die speziellsten Kunden betreut werden. 

Über die hohen überdimensionierten Fenster fällt viel Licht. Deshalb war in diesem Raum die Werkstatt der ersten Uhrmacher, die für ihre Arbeit auf perfekte Illumination angewiesen waren. 

Hier, wo heute gekrönte Häupter und was an Berühmtheiten kreucht und fleucht, sich auf den Sesseln räkelt, darf ich meine Kamera zücken. Zum guten Schluss der einmalige Blick aus den Fenstern. „Mont Blanc, deine Abstinenz sei dir vergeben.“ Allein das Gefühl von diesem historischen Platz aus, diese Aussicht geniessen zu dürfen. Der Jet d‘ Eau vor dunklen Wolken. Dreimal stöhnt das Horn des Dampfers. Was brauche ich noch Berge auf diesem Kulminationspunkt. Es war ein Tag mit Aussicht... einer ungeträumten... einer ungeplanten.

Aber da ist eben noch „Trudi“, das Zwischenhoch, dessen Ankunft die Meteorologen mit geniesserisch-schmelzender Zunge ankünden. Eitel Sonnenschein wird versprochen. Damit muss mein belle-vue-technisches Mathyrium wohl bald beendet sein. Vraiment: Um 7.00 Uhr früh, Montreux, küsst das Morgenrot die Berge des Gegenübers. 

Endlich! Aber jetzt ist meine Lust auf Mehr geweckt. Nichts weniger als der „Rochers de Naye“ ist das Ziel meiner Begierde. Wenn schon, denn schon. 

Also ab in die Lobby zur Detailplanung.

Doch die Reisende weiss, ein Conçierge ist eine Person, die sich unerwarteterweise als veritabler Gamechanger outen kann. Ich habe zu dieser Berufsgattung im Laufe der Zeit eine besondere Beziehung entwickelt. Man sollte von ihnen stets das Unmögliche verlangen, ihren Lösungsansätzen jedoch gleichzeitig mit dem maximalen Misstrauen  begegnen. „Heute, Madame, fährt die Bahn nicht!“  Ich stehe schon mit Jacke, Mütze und Handschuhen, voll eingepackt (und ja es ist  Mai) vor dem Hoteltresen. „Neiiiiin“, schmettert es in mir! Ich bin perplex. Schliesslich existiert doch ein Fahrplan? Der Conçierge tippt nochmals geflissentlich in den Tasten. „Malheureusement non, pas aujourd‘hui. Corona... vous comprenez?“ „Le Vendredi.“ „Was soll ich Vendredi; dann bin ich weg und es regnet“, hämmern meine Gedanken.

Beschwichtigend meint mein Gegenüber: „Eine Station weiter nach „Ceux“ können Sie fahren, fast tröstend: „Gratuite, Madame, Gästepass.“ Ich will nicht gratis, ich will „the view“, bockt mein Intérieur. Nun bin ich hin und hergerissen. Das bringt doch nichts, einfach ein paar Meter hochfahren. Ich bin ja schon in Glion. Aber irgendwie sticht mich eine Vorahnung, ein leichtes Misstrauen. Also nichts desto trotz zum Bahnhof. 

Da scheint sich auch wirklich keine Fahrgelegenheit einzustellen, weshalb ich stille Zwiesprache mit Francis Scott Fitzgerald halte. Er, der wie Thomas Mann, seine Ehefrau zur Behandlung in eine Klinik einweisen musste und in dieser Zeit einen Klassiker der Literatur erschuf. Aus Davos wird Glion. Der „Zauberberg“ mutiert zu „Zärtliche Nächte“ und später : „Der grosse Gatsby“. 

Tout à l‘heure: Es quietscht, rumpelt. Ein Vintage-Zug  kurvt um die Ecke. Der Zugführer springt aus dem Lockstand. „Pour Ceux... Rochers de Naye!“ Ich schaue ihn erstaunt an. 

„Sie fahren hoch?“ „Mais oui, certainement....magnifique!!“

Ich schicke meinem Conçierge eine mentale Siegesfaust.

Flink eingestiegen. Gemütlich, knarrend geht die Fahrt los. Was für eine Fortune. 

Der See liegt in seinem Azur, saftige Wiesen. Weiter oben: Es hat geschneit Zuckrige Tannen leuchten zu den Blaunuancen von ciel & lac.

Der Anstieg wird steiler und jetzt seeehr steil! Die Zahnräder klammern sich in die Verzahnungen. Mir wird etwas gschmuch.... „pfufffff“. „Mais non! Bitte nicht.“ Ein Ruck.... Stillstand.... Stromunterbruch. Hat eine solche Bahn einen Schleifpunkt?“, schiesst es mir durch den Kopf. In zahlreichen Trickfilmen nicht.... und die Waggons rattern rückwärts ins Verderben. Nach einer extensiven Minute: Entwarnung.

Die Energiewerke der MOB speisen wieder Saft ein und mit erleichtertem Geächze nimmt der Triebwagen wieder ruckelnd Bewegung auf... hangaufwärts. Tief durchatmen. 

Aber nun Bühne frei für die tektonische Dramaturgie, deren Beschreibung nicht nur die Hilfe von Thomas Mann und Fitzgerald bedurft hätte, sondern auch derjenigen eines Eichendorffs. 

Ich kann es nicht so gut wie Letzterer, aber einen bescheidenen Versuch verdient diese Szenerie:


„Es recken sich die Gipfel im schroffen Gewande. Majestätisch schwingt ein Adler über ihre  Spitzen. Freiheit. Stille.“

Das Gelände wird nun sanfter. Es geht durch Galerien. Der Blick öffnet sich. Frisches Weiss,  nostalgische Skiliftmasten.... noch ein letzter Tunnel. 

Bienvenue: „Rochers de Naye“.  Das Gipfelrestaurant begrüsst mich mit weit fortgeschrittenem, verfallenem Charme. Eine Renovation tut Not. Aber das hat nun nichts zur Sache. Es geht auf die Aussichtsterrasse. 

Wuahhhh. Solitäre Wächter fingern in den Himmel. 

Die Blüemlisalp winkt von Ferne. 

Cumuli schleichen rauchig an den felsigen Kannten. 

Leider ist der Weg zum Gipfelkreuz wegen dem Wintereinbruch nicht begehbar. Die finale Kombi: See und Mont Blanc bleibt mir verwehrt, wobei ich später noch erfahren werde, dass der „Höchste Europas“ auch von da aus nicht zu erspähen wäre.

Aber „Trudi“ sei Dank. Endlich sah ich Berge am Lac Léman. Hüben und drüben. Nie werde ich mehr sagen, ich hätte am Genfersee keine BELLE VUE genossen....

„und...

MONT BLANC.... ich komme noch.“

Mont Blanc Nichtblick von Patek Philippe aus
Mont Blanc Nichtblick von Patek Philippe aus

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Kommentare: 2
  • #1

    Michel Planson (Samstag, 15 Mai 2021 00:02)

    Merci cette fois encore pour ce voyage en Suisse que tu nous fais aimer, même si je l'aime déjà beaucoup.... Par le train, mon moyen de transport préféré, merci pour tes images : celles qui défilent à travers la vitre mais aussi celles de tes impressions.

  • #2

    Albert Müller (Samstag, 15 Mai 2021 11:30)

    Mich erfreuten insbesondere die herrlichen Aufnahmen der verschneiten kleinen Tannen, das Schneegelände mit "ciel et lac", zumal ich dieses Jahr nur eine kleine Skitour unternehmen konnte - aufs Aecherli -
    Albert aus Zug und Gersau