BAROCCO

Soeben hat Kaiserin „Ottavia“ die Affaire ihres Gemahls „Nerone“ aufgedeckt

Ihr Sopran entlässt den stechenden Schmerz der Enttäuschung in Richtung Sonnenuntergang, der die Gemäuer von Schloss Waldegg in warmes  Gelb taucht. Das Wetter ist dem Ensemble von Andreas Reize hold. Die antiken Originalinstrumente dürfen heute Monteverdis „Die Krönung der Poppea“ untermalen. 

Für mich sieht es nach dem perfekten Auftakt zu den Solothurner Barocktagen (14.-22.8.21) aus, an denen ein vielfältiges Programm an Führungen und Events geboten wird. Schon allein das Schloss Waldegg mit seinem frisierten Garten à la 18. Jahrhundert ist eine Augenweide. 

Aber jetzt bitte Konzentration. Auf der Freilichtbühne laufen Intrigen. Ein Selbstmord. Es wird gefleht und leidenschaftlich geliebt. 

Die Mitglieder des Zürcher Bach Chores (ergänzt mit lokalen Sängerinnen und Sängern) lassen ihr gewaltiges Stimmvolumen in die inzwischen illuminierten Linden hochklettern. Poppea erreicht ihr Ziel: Sie wird Kaiserin. Der Applaus brandet auf. 

Somit bin ich also angenehmst und elegantest in der Barockzeit angekommen und ich fühle mich bestens gerüstet für meinen Morgenrundgang durch die Altstadt von Solothurn mit „Madame de Coin“.

Vor dem Baslertor ist Treffpunkt für die Führung. Aber so easy wird es nicht. Sofort ist klar: Madame zählt mich und die andern gefühlt 27 Wissbegierigen zum niederen Volk. Ihr reichlich arroganter Blick spricht Bände und drückt mich gleich zum Auftakt unmissverständlich ins Kopfsteinpflaster.



Und dann wird Madame auch noch fordernd. Jeder soll die „Bullette“ vorweisen, aber vite, vite! „Die was?“

„Die Bullette!!!! (Bulletin). Glaubt Ihr, wir lassen jemanden durch das Stadttor, der nicht beweist, dass er aus „sauberer Luft“ kommt?“  Wir erfahren, dass man sich der Tröpfenübertragung (Pest ect.) sehr wohl bewusst war. Man wollte keine MAL-ARIA (schlechte Luft), bzw. Leute, die solche einschleppen könnten. Also her mit dem Zertifikat, eine Bescheinigung des Schultheissen, dass der Reisende „clean“ sei. Kommt uns das nicht bekannt vor?

Und wer keine Bullette hatte? „40 Tage alleine Campen im Stadtwald; wer das überlebte, konnte nochmals um Einlass bitten.“ So ging Quarantäne auf Barock.

Madame de Coin hat schliesslich Erbarmen mit uns und mogelt unsere Gruppe am „Stadtwächter“ vorbei.


Meine Grundausbildung zur Dame von Stand kann beginnen.

Ich kann zu Hofe nur Karriere machen, wenn ich mich penibel an die Vorschriften, die Courtoisie (höfische Vorschriften) halte. „Steh doch nicht so da wie ein Pfosten. Füsse anwinkeln! 

Achtung Handhaltung: Mittel- und Ringfinger stets zusammenhalten.“ Huu, es wird schon anstrengend. 

Und nun zur Kleidung. Damit ich mich am Abend am Ball von Monsieur Ambassadeur mit einer Wespentaille promenieren kann, klemme ich mich um spätestens 9 Uhr morgens in das geschnürte Mieder. Natürlich jede Stunde enger anziehen lassen. 

Für Damen, die nur mit Hühnerbrüstchen ausgestattet sind, wird mit Lumpen und Stroh aufgepolstert bzw. wer Portemonnaie hat, kann sich Wachsbrüste (gerne auch behaart) aus Wien bestellen. 

Bei Männern (Kniehosen tragend) könnten  dünne „Spatzenwädli“ als peinlich angesehen werden. Künstliche Voluminawaden gibt es deshalb auch undercover zu kaufen. Aber  prudence: Die Socken dürfen beim Tanz keinesfalls ins Rutschen kommen.  

Um Aufmerksamkeit zu erregen - und um das geht es ja - wähle ich die richtige Robe farblich und ornamental auf meine Befindlichkeiten abgestimmt, denn jedes Detail hatte Bedeutung und konnte, - gerade von Verehrern - gelesen werden. Nicht in Frage kommt für mich eine weisse Rose im Haar (Jungfrau), auch mit Gelb ist nicht leichtfertig umzugehen (ich bin gerade eifersüchtig). 

Kombiniert mit der barocken Blumensprache ergibt sich so bereits ein anspruchsvolles Vocabulaire der Nachrichtenübermittlung, das sich in der Fächersprache in höchste Sphären der Kommunikation aufschwingt. 

Über das „Whats App des 18. Jahrhunderts“ will ich natürlich nicht zu viel verraten. Das überlasse ich Marie-Christine Egger alias Madame de Coin. Es kommt auf die Wedelbewegung, die Position des Fächers am Körper, die fächelnde Hand, die ausgeführte Bewegung an. Und da haben es die Botschaften in sich. 

Ohoooo.... z.B.: „Ich werde Dir folgen.... gegen 6 Uhr“. Dumm gelaufen für den Bewerber, wenn der Fächer theatralisch zusammengeklappt wird. La chance est perdue.

Fehlt noch die Haartracht. Eine mehrstöckige Perrücke ist unverzichbar. Diese Mode wurde zur Tugend aus der Not. Syphlis verursacht leider Haarausfall. Klar, dass da drunter mit allerlei Gekräuch und Gefleuch zu rechnen ist. Es gibt diverseste Anti-Lausstrategien. Das Gadget der Stunde ist - nur für Begüterte -  das Laus-Ei. Mit einem darin versteckten Blutlümpchen (zum Aderlass wird die eigene Zofe gebeten). Damit können die juckenden Viecher angezogen und in eine Falle gelockt werden. 

Voilà, das Vêtement ist complett. Dieses - noch so perfekt inszeniert - nützt aber nichts, wenn ich mich nicht fehlerfrei auf dem glitschigen Parkett des Menuetttanzes beweisen kann. Vor der Ambassade ertönt deshalb Tanzmusik und rechts... Plié (Kniebeuge) links, rechts links ... Plié! 

So kokettiert nun unsere Sneakersgesellschaft im Takt durch die Gassen von Soleure, den kritisch-verzweifelten Blick von Madame erntend. Elegant geht anders. Nur zu hoffen, dass ich nicht vor dem Ambassadeur oder einem andern hochrangigen Gastgeber „antanzen“ muss. 


Dabei muss man/frau nämlich unter den Argusaugen der versammelten Gesellschaft vortanzen. Alle warten genüsslich auf einen einzigen falschen Schritt, den „faut pas“. 

Das abendfüllende Getuschel und Gespött wird dem Fehltreter sicher sein.

Nun, ich denke, ich bin bereit für eine rauschende Soirée. Duschen oder baden muss ich vorgängig nicht. Das war des Teufels und Herren mit starker Ausdünstung, haben, da dies als Zeichen der Potenz gewertet, auch sehr gute Karten.

Es geht auf zum Lustmahl, wo reichlich Wein fliessen wird, denn dieser hält den Körper in „gesunden Säften“ und ist rein, während Wasser meist kontaminiert ist. Wie sympathisch.


Falls Herr Casanova, der hier in Solothurn gern gesehener Gast ist und die Damen in seinem Spezialgebiet verwöhnt, anwesend wäre, wäre ich natürlich très curieuse und würde bei einem aphrodisierenden Selleriesüppchen gepflegte Conservation betreiben und après des Frauenflüsteres Lieblingsgetränk kosten: Eine Tasse Chocolat.


und nun, Monsieur Casanova, 

lasse ich meinen Fächer sprechen.....

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Kommentare: 6
  • #1

    Albert Müller (Montag, 16 August 2021 17:48)

    Herrliche, farbenfrohe Aufnahmen - ein Kunstwerk aus "Solodurum", ohne "Bullette" in Zug erreicht...

  • #2

    Pimaria (Montag, 16 August 2021 17:55)

    Uff, so ein Glück, dass ich nicht damals gelebt habe. Als Frau hätte ich das niemals durchgestanden!
    Toll geschrieben, wie immer, chapeau!

  • #3

    Georges (Montag, 16 August 2021 17:59)

    Sehr opulent aufgetragen....

  • #4

    Elisabeth Huber (Dienstag, 17 August 2021 11:43)

    Wie immer so spannend und äusserst charmant über den Abstecher in die Barok-Époque geschrieben.
    Auch ich bin froh, dass ich vom täglichen Aufwand, meine Körpermitte zu einer Wespen-Taille zu schnüren um mich in die zwar wunderschönen, jedoch körperbetonten Röcke zu zwingen, verschont bleibe. Ja, und dann das mit den «Gerüchen» der Potenz, weil das tägliche Duschen fehlte!!!!! Nein, das 21. Siècle lebe hoch! Herzlichst Elisabeth

  • #5

    PLANSON (Dienstag, 17 August 2021 18:20)

    magnifique comme toujours !

    A bientôt
    FG
    Michel

  • #6

    Rena de la casa (Mittwoch, 18 August 2021 19:12)

    Opulent, überschwänglich, voller Regeln und faut pas lebte es sich im Barock wohl nur auf der ‚richtigen Seite‘ genüsslich fürstlich.
    Merci beaucoup pour votre vue, madame Françoise!