Lava Land

„Pick up ist morgen 8.30 beim Rathaus“, erklärte die junge Dame des Touristbüros in Reykjavik. Es war eine der letzen verfügbaren Exkursionen. Und da lernte ich gerade, dass Island in der Hochsaison nichts für Spontangestrandete ist. Alles muss in „due time“ vorreserviert werden. Zimmer, Taxis, Ausflüge, Restaurants. Zum Glück führt die angebotene Tour genau in das Gebiet der farbigen Berge, wo ich nochmals hinmöchte. In 2016 war das Wetter schlecht.

Rathaus
Rathaus

… und heute Morgen? Ein Traum. Stahlblau. Ich juble vor dem Rathaus gerade vor mich hin, da brummt ein knallroter Super Truck um die Ecke. Die Türe geht auf …. und da steht KATE.

Und Kate ist nicht nur wegen Ihrem Offroad-Spielzeug unübersehbar. Kate hat Präsenz….eine Mischung aus schnörkelloser Emanzipation und raumgreifender blond-grauer Walküre. Verwaschen-zerknüllter Anorak. „AMAZING-Tours!!!“ Ihre Stimme ist laut, kantig, selbstbewusst.

Ich melde mich. Ohne grosses Willkommens-Blabla weist sie mir meinen Platz zu. Einsteighöhe… zu hoch für mein lädiertes Knie. Das kümmerst Kate nicht sonderlich. „Need help?“ war nur rhetorisch gemeint. Dank ausgeklügelter Kombination aus Klimmzug und Schwungtechnik schaffe ich es, das rote Ungetüm zu erstürmen. Damit 

steht dem Erlebnis … tatsächlich aber dem Abenteuer…nichts  mehr im Wege.

Kate grast während der flotten Fahrt aus der Stadt heraus noch einige Checks ab. „Haben alle Gäste Lunch und Trinken dabei?“ „Ähhh nein, der Tripp ist ja nicht gerade billig und gesagt wurde im Vorfeld auch nichts.“ Darauf geht die Fahrerin natürlich nicht ein, nimmt die nächste Ausfahrt zu einen Tankstellenshop. „Da könnt ihr einkaufen…. Trinken nicht vergessen!“ Alles wird im Fond verstaut. „Badehose eingepackt?“ „Ja, aber kein Tuch.“ „ Hab ich auch nicht, aber Du wirst es schaffen!“

Weiter …en route.

Erste grüne Hügel fliegen an uns vorbei. Vulkane. Alte …schlafende….und sehr umtriebige. 


Kate erzählt von der andauernden Vulkanaktivität. In den letzten Tagen seien viele Erdbeben registriert worden. Erste Vorboten einer Eruption. Aber wo?

„Wir haben 30 Minuten Zeit, um aus der Gefahrenzone zu kommen, wenn es zum Ausbruch kommt. Seid ihr ready?“ Kate grinst. „Kein Witz!“

20 min später wird ihr Lachen noch breiter. Es geht weg von der Betonstrasse. Sie freut sich so auf das wilde Steuern. „Übrigens… diese Reise mache ich eigentlich für mich… ihr seid einfach dabei. Das heisst: Das vorgegebene Programm dürft ihr als eine Art Empfehlung meines Chefs sehen. Ich werde mich da nicht so ganz daran halten und noch meine Favoritenspots einbauen!“ 

„O ohhhh!“ denkt es leicht alarmiert in mir, aber es bleibt (zunächst) harmlos.

Es gibt zwei Augenzucker zu bestaunen. 

Eine Schlucht, in der eine Szene von „Games of Thrones“  gedreht wurde und noch einer von Kates Geheimtipps. 

Um uns herum: Karge Gerölllandschaft… dann nähere ich mich einer Klippe… wieder eine Schlucht… und nun der Blick. Wouwwww. AZUR.

In der Zwischenzeit hat Kate ihr rotes Baby reifenklar gemacht. Mit kleinen Schläuchen verband sie  die Mamutpneus mit dem Generator. So kann sie den Reifendruck vom Lenkrad aus steuern.

„Come….let it be hard core!!!“

Ab sofort mutiere ich zur Sprungfeder. Gierig wird fast jedes Schlagloch angepeilt. Ich poppe nach oben…rutsche seitlich. Kate jolt und drückt das Pedal. Volle Frauenpower durch jeden Fluss. Es zischt und spritzt. Wir fetzen durch erstarrte Lavafelder. Die Landschaft ist surreal leer… magisch die Bergrücken in verschiedenen Schwarz-Braun-Grün- und Rotschattierungen… 

weisse Schneeflecken erinnern an den langen Winter.

Die Schotterpiste steigt an. Ich erinnere mich. Unvermittelt hält Kate. Ich weiss was jetzt kommt. Die Kaldera mit dem See. Der perfekte Tag. Das Wasser spiegelglatt. Wolken duplizieren sich darin. Ich schaue… schaue….sauge diese Sicht. 

Endlich losgerissen sind es nur noch ein paar Kurven. Das Ziel ist erreicht. Landmannalaugar. The colorful Mountains. 

In Carmel, Nougat und Hasel fliessen die Felsen auf die antrazite Mondlandschaft. 

Im Tal schäumt ein silberweisses Flüsschen unter petrolgrünen Wänden. 

Schieferschwarze Brocken kontrastieren zu senfgelben Kieseln. 

Es hat hier immer viele Besucher. Aber ich kann mein Glück nicht fassen. Kein Mensch hier. Gerade jetzt. Ein paar geschenkte Momente. Ruhe…nur das Gurgeln des Wassers. 

Zurück bei Kate folgt nun das Wellnessszenario. Das Sandwich wird bar jeder Romantik auf dem Parkplatz verdrückt. Aber nun steht Baden im warmen Fluss auf dem Programm. 

Kate: „Umkleide ist die kleine Holzbühne da vorne in der Wiese. Outdoor versteht sich. Adams und Evas gemeinsam. Abtrocknen: Nimm dein Ersatz T -Shirt!“ Klare Instruktion und so erlebe ich das authentisch isländische Hotpotfeeling. Ist man einmal drinn… möchte man bleiben. Wind kommt auf…Wolken plötzlich. Na dann eben….

Das Nackedeiumziehen klappt erstaunlich flott. Erfrischt setzen wir die Rundreise fort… bzw. ich bereite mich genüsslich auf eine gemütliche Rückfahrt vor. 

Aber von wegen. Kate ist in Abenteuerlaune. 

Hekla
Hekla

Sie hatte schon am Morgen von der alles dominierenden Hekla erzählt (Vulkane sind in Isländisch immer weiblich, weil unberechenbar und impulsiv wie die Frauen!). Sie ist einer der aktivsten Vulkane. Wir rumpeln auf verworrenen Abwegen parallel zu einem ihrer Krater. Ich bin gerade kurz etwas weggedöst. Da schnappe ich Kates Erklärung auf: „Ihr werdet jetzt gleich von der Regierung eine SMS Warnung erhalten.Heisst so viel wie: Zu nahe an Hekla. Eruption jederzeit möglich!!“ Ihr erinnert Euch: 30 min. Fluchtzeit.“

„Ok“. denke ich. „Wir werden ja nicht lange hier sein.“ Fehlschluss! Kate spottet den Abhang des Kraters. „Dieser Weg da oben ist zu. Schneefeld.“ „Gott sei Dank!“

flüstert es in mir. Gerade will ich mich entspannen, da gibt Kate Zwischengas. Der Motor jault. „Jaaaaaaa…. „schreit sie begeistert „hier durch“. „Woooooooo???“ Das weiss nur sie. Ich sehe eine schrägverlaufende etwas plattgedrückte Idee von Piste. 

Das Gefährt krallt sich zwischen riesigem spitzen Lavageröll an die Schrägkante. Ich verlagere innerlich meine linke Arschbacke in Richtung Berg. Augen schliessen. Es fühlt sich extreeem schräg an, aber Angst habe ich eigentlich keine. Eigentlich! So lande ich buchstäblich für gefühlt lange Zeit auf der „schiefen Bahn“. 

Endlich Horizontale. Roter Sand. 

Eine Kuppe. Nochmals Gas. Und unvermittelt stehen wir auf der Kraterkante. 

Unvergesslich. Fantastisch. Vor mir der Blick in die Feuerspeierin. Ich auf der Hekla. Nebenkrater.

So unglaublich beeindruckend war dieser Ritt. Ich werde still. Keine Worte braucht es noch.

Nur noch dies: Danke Kate und klar, dass Du für die Abfahrt nicht den einfachsten Weg wählst, sondern den herausforderndsten. Ich höre Dein Jauchzen.

Kommentare: 6
  • #6

    Rena de la casa (Freitag, 05 August 2022 12:43)

    Tatort nahe Reykjavik: erneuter Vulkanausbruch - du warst erst nahe dran, hast schon die Faszination dieser ‚toten Erde‘ erlebt.
    Wie fühlt sich das Lesen des Zeitungsartikels für dich an? (5.8.22)

  • #5

    Rena de la casa (Donnerstag, 04 August 2022 18:59)

    Beim Lesen war ich quasi mit dabei bei deinem einmaligen Action-Film- Erlebnis!
    Mit eindrucksvollen Bilder hast du deinen Bericht ausgeschmückt: wow!

  • #4

    Michel Planson (Mittwoch, 27 Juli 2022 06:58)

    De la couleur, de la lumière, des saveurs, des impressions, du rêve, des rencontres : c'est super !

  • #3

    Georges (Dienstag, 19 Juli 2022 11:27)

    Island scheint ein adäquater Ersatz gewesen zu sein. Landschaftlich wie 'erlebnistechnisch'.

  • #2

    Dorte (Dienstag, 19 Juli 2022 09:02)

    Wow so ein Erlebnis! Das waren ungeplante, fantastische und unvergessliche Ferien

  • #1

    Albert Müller (Montag, 18 Juli 2022 22:59)

    Gratuliere der "Sprungfeder" in jener unglaublich schönen "antraziten Mondlandschaft" mit Felsen und Schnee...