Confluence

Das Wort lässt mich relativ ratlos inmitten der Restanzen meines französischen Vokabulariums irren. „Confluence“, was könnte das heissen?

Lyon, die noch nie Besuchte, hilft  mir mit architektonischer Suplesse auf die Sprünge. Es bedeutet „Zusammenfluss“ und just auf dem Spickel, an dem Rhone und Saône sich verheiraten, steht das Musée des Confluences. 

Das Architekturbüro „Himmelb(l)au“ durfte sich an der Spitze der Halbinsel verwirklichen. 

Die gläsernen Waben, die jedes Putzteam zur Verzweiflung treiben müssen, glänzen in der Oktobersonne und locken mich zum Entrée. Ein perfekter Entscheid. Freunde moderner Baukunst und Museumsdidaktik werden hier augentastische Glücksmomente pflücken.

Ich möchte auf den geschwungenen Höhen-Wegen die Glashalle hochwandern. In den einzelnen Ausstellungsräumen wartet tiefes Schwarz in dessen mystischer Aurea Zeugen der Zeit erstrahlen. 

Die Spynx spiegelt sich narzisstisch auf gläsernen Platten, 

der Dino scheint gleich losgelassen. Liebäugelt er mit mir als prähistorischer Zwischenverpflegung? Das Studium seines Gebisses implementiert in mir Entwarnung. Er war wohl ein „Vegi“. 

Im (nächsten) kosmischen Raum fühle ich mich noch kleiner; demütig. 

Ein unspunnenstein grosser Meteorit liegt offen da. Er ist älter als unsere Sonne. Ich darf ihn berühren. Ein Gefühl von Unendlichkeit. 

Zum Schluss die Aussicht von der Terrasse aus auf die Flüsse. Wird Lyon sein Versprechen einlösen, ein Ort der diversen Einflüsse, eine Stadt der Fusion, zu sein? Ich bin gespannt.

Es geht entlang der Saône durch das neuste und teuerste

Quartier der Stadt. Ebenfalls „la Confluence“ genannt. 

Freche Baukunst, hohe Ziele. Die Aerea soll ein europäisches Vorbild für klimaneutrales Bauen und Wohnen werden.

Je weiter ich mich der Innenstadt nähere, umso mehr leuchtet die Basilika hoch auf dem Hügel la Fourvière. Eine Standseilbahn eliminiert meine Sorge um den Aufstieg zur mehrtürmigen Kirche, die im Volksmund „Hochzeitstorte“

oder „umgedrehter Elefant“ benamst wird. 

Oben angelangt, frage ich mich, wo wir hier stilmässig gelandet sind. Dem Zusammenführenden treu, gibt Notre Dame de Fourvière ein leuchtendes Beispiel. In der Wende von 19./20. Jahrhundert blühte der „Eklektizismus“.

Ein Traum für Architekten. Man nehme alles, was aus anderen Kulturen und Epochen  gefällt und mixe dieses fröhlich zusammen.

Etwas Alhambra, etwas  Barock und Klassizismus und im Innern ein byzntinisches Mosikenwunder. Das meistbesuchte Gebäude Lyons präsentiert sich überraschend anders. Edel glitzern die Steinchen in Gold und Petrol zu Ehren der Madonna, welche die Stadt vor Pest und Krieg beschützt haben soll.

Am Himmel ziehen Wolken auf. Regen? Da ist es ratsam, in Ermangelung eines Schirmes, tout de suite in das Quartier Vieux Lyon abzusteigen. Hier bin ich in den berühmten „Traboules“ vor unerwünschtem Nass sicher. Aus Asien fand das Gespinnst der Seidenraupe im Mittelalter seinen Weg nach Lyon. Es entstand ein lukratives Seidenwebergewerbe. Der wertvolle Stoff brachte Reichtum und musste entsprechend sorgfältig und vor allem regengeschützt transportiert werden. Deshalb nutzten die Weber und Händler  Korridore von Haus zu Haus. Die Traboules.

Über 200 soll es heute noch davon geben. Nur wenige sind zugänglich. 

Ich entdecke einen der Durchgänge. So spannend. 

Geheime Hinterhöfe tun sich auf. Türme, die als offene Treppenhäuser dienten, könnten wohl manche Geschichte erzählen. 

In einem der Tunnel gibt ein eingelassenes Fenster den Blick auf einen alten Webstuhl frei. Schimmernde Stoffe. Mein Neugier ist entfacht, mein Portemonnaie beginnt zu jucken. Ein paar Räupchen dienen zur Erklärung der Seidenproduktion. Für ein Foulard  90x90 verspeisen diese Nobelinsekten das Laub  von 2-3 Maulbeerbäumen wie mir eine schwarzbenagelte Vendeuse erklärt.

Die Auswahl ist verlockend. Widerstand zwecklos. Ich erliege dem Schal in Ausbrenneroptik in Fuchsia und später einem modernen Design aus changierender Rohseide, dessen Tragmöglichkeiten mir  in Zukunft einen breiten kreativen Gestaltungsspielraum schenken werden.

Wer mich persönlich kennt, darf gespannt sein.

Mein Weg geht weiter durch vieux Lyon. 

Zwischenzeitlich sind die lokalen Gastronomen in Schuss gekommen. Bistrotischli werden vor den „Bouchons“ aufgedeckt. 

Der Name bedeutet „Strohballen“. In frühen Zeiten wurden solche vor den Wirtschaften für die Kutscher über der Türe aufgehängt, damit diese damit die Pferde abtrocknen konnten. Heute bieten die meist familiengeführten Betriebe währschafte Lokalküche an. Coque au vin, Lyonner Würste, eher deftige Fleischgerichte, wobei manche Sauce schon gut mit einem Schuss Landwein gesegnet wird. Das hätte wohl nicht gereicht, um sich den Titel „Gourmetstadt Frankreichs“ zu ergattern. 

Es brauchte IHN, 

Monsieur Paul Bocuse. Sein Talent adelte die Kunst des Kochens. 30 Jahre hatte sein Hauptrestaurant drei Michelinsterne. Nach dem berühmten Sohn von Lyon ist eine besondere Halle benannt. 

In „les Halles Bocuse“ gerät jede Gourmetseele  ins Schwärmen. Es ist ein Ort gehobener Kulinarik mit Marchékonzept. Aufgeräumt und zugleich verlockend. Kleine Restauräntchen verführen und bieten gleichzeitig natürlich ihre Produkte zum Einkauf ein. 

Hatten wir es nicht von Confluence? Bocuse beeinflusste die Küche und bei mir mischen sich gerade die Gelüste:


Moules….

Quiches…

Fromages



Heidelbeertruffes

Garçon ein Éclaire bitte“

Lyon… ja du lebst Confluence

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Kommentare: 15
  • #1

    Georges (Sonntag, 23 Oktober 2022 08:37)

    Dein "Tagebuch" ist besser als jeder Reiseführer.

  • #2

    margrit furter (Sonntag, 23 Oktober 2022 10:59)

    ich wollte schon lange nach lyon. dein toller bericht gibt mir den letzten kick.
    danke.

  • #3

    Werner Weber (Sonntag, 23 Oktober 2022 11:01)

    Liebe Franziska
    Ich war geschäftlich mehrmals in Lyon und kenne die Stadt mit ihrer schönen Beleuchtung. Aber was du alles so schönes erlebt hast!!!
    PS: Meine Vorfahren waren übrigens Seidenweber.

  • #4

    Doris (Sonntag, 23 Oktober 2022 11:02)

    Dem stimme ich vollumfänglich zu! Danke dir

  • #5

    Doris (Sonntag, 23 Oktober 2022 11:03)

    Besser als jeder Reiseführer

  • #6

    Elisabeth Huber (Sonntag, 23 Oktober 2022 11:13)

    Dank Deiner schillernden Erzählung schwelge ich wieder in Erinnerungen an diese faszinierende Stadt.
    Lass Dich weiter «umspinnen» von dieser faszinierenden Seidenstadt. Herzlichst Elisabeth

  • #7

    DON PEDRO (Sonntag, 23 Oktober 2022 12:16)

    Leider - auf dem Weg nach Spanien - immer weit umfahren! Danke für den Tipp

  • #8

    Claire (Sonntag, 23 Oktober 2022 17:10)

    Wie immer höchster Genuss beim Lesen!
    Danke für die vielen Tipps - werde bald eine Reise planen.

  • #9

    Vreni (Sonntag, 23 Oktober 2022)

    Wow, spannend wie immer und definitiv eine Reise wert. Danke dir für deinen Bericht.

  • #10

    Sylvie Brun (Sonntag, 23 Oktober 2022 18:40)

    Hallo Franziska
    Deine Fotos sind zauberhaft und der Text dazu genial.
    Merci

  • #11

    Albert Müller (Sonntag, 23 Oktober 2022 20:35)

    Beim Lesen deiner eklektischen Hinweise und beim Staunen über deine grossartigen Fotoaufnahmen habe auch ich "augentastische Glücksmomente" erfahren...

  • #12

    Stadler K (Donnerstag, 27 Oktober 2022 11:11)

    Maravilloso Maravillosa
    Me encanta tu blog y tambien los comentarios

  • #13

    Rena de la casa (Freitag, 28 Oktober 2022 19:37)

    Lyon - nach deinem ,lebendig‘ farbenfrohen Bericht freu ich mich, wieder Neues zu erleben in dieser spannenden Stadt.
    Merci, chère françoise…

  • #14

    Susanne aus Ägeri (Freitag, 28 Oktober 2022 21:49)

    Kompliment Franziska. Deinen interessanten Reisebericht habe ich genossen. Lyon hat mich „gluschtig“ gemacht, nicht nur deine tollen Fotos der Leckereien.

  • #15

    Barbara Stiemerling (Mittwoch, 02 November 2022 00:18)

    Wunderbar geschildert! Ich, die die Ecole Hoteliere de Lausanne absolviert hat, muss dort mal endlich hinreisen!