Maskentanz

Luisa steigt in Murano in das Vaporetto 4.1. Sie wohnt auf der Insel vor Venedig, wo das Glashandwerk seit Jahrhunderten gepflegt wird. 

Nur, wer ist Luisa? Ist sie Designerin für Glasschmuck und Skulpturen? 

Arbeitet sie im Ristorante mit bombastischen Spiegeln und Ausblick auf einen kleinen Canale 

oder ist sie Chirurgin im gegenüberliegenden Ospedale? 

Ich werde es nicht erfahren und das ist der Sinn. Der Carnevale hat begonnen. Luisa ist auf dem Weg zu einem der grossen Bälle. Im Quartier Cannaregio verlässt sie die Barke…huscht in eines der mit Charme alternden Häuser.

Die Nacht ist hereingebrochen. Aus Luisa wurde „Tiziana“. Für die Nacht der Nächte hat sie sich verwandelt. Der Carnevale … er lebt… unterdrückt von Napoleon… gefeiert in anderen Epochen…. er ist die DNA der Venetianer.

Ja, es stimmt… die Touristen haben die Hot Spots erobert…feiern mit Federschmuck und Co. ein eigenes Fest. 

Aber im Versteckten bleiben die Einheimischen unter sich. 

Tiziana schreitet über die kleinen Brücken, 

entlang von schieferschwarzen Kanälen, in denen die Lichter der letzten Sonnenstrahlen golden reflektieren. Ihr Kleid bauscht über dem Kopfsteinpflaster… ihre Schritte hallen. Ihre Maske gibt ihr ein neues Leben, eine ersehnte Freiheit….

Für eine Nacht. 

Ist sie eine Indigokatze?

Adelt sie sich als goldene Gottheit?

Gibt sie den rosa Harlequin?

Oder schützt sie sich mit gefiedertem Antlitz?

Wir wissen es nicht. Die Masken hüten ihr Secreto …. still.

An der Rialtobrücke wartet eine Gondola. Noch verfängt sich der Himmel im purpur-lila Licht. 

Die Gondoliere hoffen auf Kunden. Tizianas Gondel verschwindet im dunklen Wasserlabyrinth. 

Das lanzettliche Boot wird verschluckt vom Silber-Nebel, der sich für einige Minuten über die Lagune breitet. 

Ich spaziere über die Piazza San Marco. Ich hatte Gedränge erwartet und finde Weite. Erfrischende Leere. 

Plötzlich da hinten… eine Gestalt. Unter der Laterne des Dogenpalastes in Richtung Dom… 

ist es Tiziana? 

Unter den Säulengängen ein verschwiegener Maskenblick… 

ist es Tiziana?

Ich lasse mich treiben in dieser zaubrigen Vollmondnacht, 

in der der Mond über die  Sonne herrscht. 

Es zieht mich hinein ins weltberühmte Café Florian.

Un Cappuccino per favore“…14 €… die sündig-buttrige Sahne: jeden Euro wert. Dann geht es wieder hinaus…. diesmal mit meiner Maske. 

Sich wie Tiziana fühlen. Dem Selbst entfliehen…

Tiziana scheint sich derweil am Ball in einem gotischen Palazzo zu vergnügen. 

Konnten ihre roten Lippen, ihr Blick hinter ziselierter Maske,

Casanovas Aufmerksamkeit erregen? 

Hat er um ihre Hand zum Tanze gebeten und hat sie im Takt der Schritte seinen Atem an ihrem Nacken gespürt? 

Und haben hundert Augen das innige Pas de Deux verfolgt?

San Marco schlägt die Stunde Null. Nicht jede Carnevalista möchte jetzt ihr wahres Gesicht zeigen. Geheimnisvoll leuchtet la Luna über der Kuppel… ich muss stehen… ich muss schauen…. mich ergreifen lassen von dieser Mystik. 

Die Mondstrahlen suchen sich seltsame Wege.

Da  wuschhhh….. jemand leichten, schnellen Schrittes…. an mir vorbei …. und schon fast verschwunden. Etwas fällt zu Boden.

Eine gold-schwarze Maske mit Federn bleibt auf einer Marmorstufe liegen….

War es Tiziana? ……oder Luisa?