Riga lucida

Manchmal erscheint mir ein Ort ganz weit weg. So erging es mir immer mit RIGA. Irgendwie remote. Eigentlich weiss ich wenig über die Stadt, Lettland. Was wird mich erwarten? 

Ich habe eingecheckt. Zwei Stunden und zwanzig Minuten soll der Flug dauern und ich freue mich. Nur die Warteschlangen in Zürich… aber airBaltic bietet zum Glück für einen moderaten Aufpreis das „Business Light Packet“ an. Fast Track und ein „Gourmet Business Menü“. Na, das ist doch was. Meine Vorfreude mit einem zarten Hauch von VIP-Gefühl zu reisen, zerschlägt sich nun aber jäh. Man habe auf ein anderes Flugzeug ausweichen müssen. Sprich, es wird mit rechter Verspätung ein tschechischer Ersatzflieger der mir unbekannten Firma, aber mit dem zumindest wohlklingenden Namen, „Smartwings“, angedockt. Die Mannschaft der airBaltic ist zu bemitleiden. Zusammen mit der neuen tschechischen Crew müssen sie das langwierige Boarding managen. Ich merke schnell… das übliche Willkommenscüpli liegt hier nicht drin. Aber das Wasser kommt immerhin im Schämpisglas zusammen mit der Menükarte, in der mir auf Seite 2 der lettische Starkoch enthusiastisch entgegenlächelt. Er wirbt mit lukullischem Genüssen, aber was gibt es? Kein Essenangebot. Nur Drinks? Nachdem sich die tschechische Ersatzvariante mit doch recht smarten Flügeln hochgeschraubt hat, folgt der Service. Der Blick auf das Tablet ruft nach Desillusion: Teigwarenpappe, rohe Gurken, Radisli und Früchte. Und nach etwas Eifersucht: Der Passagier auf der anderen Seite des Ganges erfreut sich sehr ansprechender Speisen…. anderen Speisen! Der charmante Steward ziert sich (er hatte nämlich offenbar listig, meine Menükarte um das Blatt mit der Speisenfolge erleichtert). Ja, ähmmmm…man habe nur ein  einziges Gourmetmenü an Bord (meines war die tschechische Chartervariante)….aber das lettische Brot 

sollte ich doch versuchen. „Butter?“ Fehlanzeige. Der Stewart, der wirklich für dieses Chaos  nichts dafür kann, lächelt seine Verweiflung weg und beglückt mich vor der Landung  samt entschuldigendem Dackelblick mit einem Fläschli Prosecco zum Mitnehmen. Besänftigend wirkt zudem, dass der Koffer in Rekordzeit ausgeliefert wird. (Auf dem Rückflug konnte sich

airBaltic dann selber unter Beweis stellen: Fazit: Tadellos und hohe Qualität inkl. Gourmet).

Bald erreiche ich das Hotel, wo mich kurz vor Mitternacht eine dreiköpfige Konfirmantentruppe von Conçierges erwartet. Trotz Überbesetzung erreichen die Jungs mit ihrem hölzigen Empfang nur einen Charmkoeffizienten von Note 4 oder haben sie einfach zu viele Hockey-Abende (WM 2023) in den Knochen? 

Bevor ich ins Bett kippe, flackern in mir Erinnerungen an meine Ostblockreisen in den 80-iger Jahren auf. Muss ich mit Restanzen rechnen? Mit diesen Vorurteilen im Kopf krieche ich unter die Decke und erwache am Morgen …………. mit einer tollen Aussicht. Unter mir zieht die Daugava still der Ostsee entgegen und am anderen Ufer grüsst mich das lettische „Lichtschloss“, die National-Bibliothek.

Meine Neugier ist geweckt und in den nächsten Stunden werde ich mich Knall auf Fall in diese Altstadt verlieben.

Schon wenige Meter von meinem Hotel Wellington Riverside entfernt (mit tollem Spa), 

beginnt diese voyage d’amour auf dem Rathausplatz. Beim Anblick der alten Zunfthäuser (Schwarzhäupterhaus) 

schmilzt mein historienaffines Herz in der baltischen Sonne. Die ehemalige Hansestadt hat mich im Sack und kokettiert an jeder Ecke mit ihrem Glanz aus alten Zeiten. 

St. Peter zieht mich per Lift hoch auf die Aussichtsplattform, wo die Lust auf „mehr Riga“ weiter entfacht wird. 

Die Stadtsilouette wird komplettiert durch den schiefergrauen Turm des reformierten Domes, der eine Orgel von Weltrang beheimatet. 

Unten in den pittoresken Gassen geniesse ich urgemütliches Flanieren. Die Stadt ist im Sommermodus. Die unzähligen Beizlis haben sich auf die Plätze verlagert und locken mit einer ihrer Spezialitäten. 

BIER in wirklich allen Facetten dazu eine variantenreiches Speisenangebot von 

rustikal

Nur allzugerne lasse ich mich einfangen von der hier herrschenden Entspanntheit und Ruhe. Ja, es ist eeendlich wieder mal Reisen, wie ich es in der Vergangenheit so genosssen habe. Keine oder wenig  Autos, saubere Strassen, keine Bettler, Klima-Kleber, Drögeler, Betrunkene, Demos oder Touristenwalzen. Einfach gelassen.

Nach 10 Minuten des Schlenderns erreiche ich auch schon den Pulverturm, der den Rand der inneren Altstadt markiert. 

Jetzt nur hopp über die Strasse zum Freiheitsdenkmal und hinunter zum Kanal im Park. 

Bin ich in Oxford oder Ljubliana? Ein romantischer Park mit Flüsschen. Kleine Boote locken für eine Fahrt. Wer sagt da: „Nein?“

Geschwungene Brücken.

Wasserspiele.

Friedlich.

Zu kurz war die Fahrt. Ich steige aus und nehme Kurs auf die Albertastrasse. Hier erwartet mich gloriose Architektur. 

Riga wurde nie zerstört und so darf die Stadt heute auf die bedeutendsten Jugensstilbauten Europas stolz sein. 40% der Altstadt stammen aus dieser Epoche, was auch die UNESCO zu würdigen weiss. Dieser Stil gehört zur Rigenser DNA. Die Letten sind darauf mächtig stolz und die Besucher verspüren die Aurea des Schönen und Gepflegten. Ich biege um die Ecke und mir fällt buchstäblich das Kinn herunter. In der Albertastrasse stehen die üppigsten Prachtbauten. Der Fantasie schien keine Grenze gesetzt gewesen zu sein. 

Wollten die Familien sich gegenseitig übertrumpfen? 

Rufende Lakaien

Elegante Balkone

Freizügige Göttinnen

Holde Jünglinge

Hausfassaden wie aus edler Spitze.

Was musste diese Belle Epoque für eine Zeit gewesen sein.

Nur langsam reisse ich mich los. Auch die Geistlichkeit hat Augenzauber zu bieten. Durch die Parkbäume glänzen die Kuppeln der orthodoxen Kathedrale. Sie zieht mich magisch an. 

Wie im Flug vergeht die Zeit. Es ist Abend geworden. Die Sonne wird erst um 22 Uhr untergehen. Die weissen Nächte von Riga sind legendär. Die Stadt wird zum Outdoorwohnzimmer. Sie glänzt, leuchtet im bernsteinfarbenen Sunset.

RIGA lucida. Leuchtendes Riga.

I LOVE YOU!

In den nächsten Artikeln werde ich in Deine Seelenorte eintauchen.