Anders als in andern Städten nehme ich den grossen Fluss von Riga nicht als Hauptakteur wahr. Die Daugava kommt mir eher vor wie ein schützendes blaues Band, hinter das sich die Altstadt zurückzieht, um ungestört ihre Geheimnisse zu pflegen.
Nur das weisse Rigenser Schloss leuchtet trutzig am Ufer. In sich gekehrt. Und doch lockt der Fluss mit einer Botschaft aus salzigem Wind und Freiheit. Es sind nur noch wenige Kilometer bis der Strom im Meerbusen von Riga seine Bestimmung findet. „Da sollte man unbedingt hin“, meinen die Städter. „Nach „Jurmala“, dem bekannten Badeort“. Es fahren Busse und der Zug: 20 Minuten.
Ich finde heraus, dass sich eine beschaulichere Weise, anbietet, an die Ostsee zu gelangen. „Elisabethe“ heisst das Boot, das täglich um 10.00 Uhr vis à vis des Rathausplatzes ablegt und in etwas mehr als 2 Std. dem Meerbusen entgegentuckert.
Gemütlicher geht es nicht und kurzweilig ist die Fahrt.
Das Turmpanorama
Das Schloss.
Hafenanlagen, die sich über viele Kilometer dahinziehen.
Schilfstreifen und Wälder.
Hinter Büschen versteckte Daschas (Ferienhäuser).
Das Städtchen Jurmala überrascht. Eine etwas sehr aufgeräumte aber liebevoll gehätschelte Einkaufsstrasse mit Boutiquen und Restaurants.
Ich zweige rechts Richtung Meer ab, das ich von hier aus nicht sehen kann, streife durch ein Quartier mit bezaubernden Holzvillen. Sie sind alle geschützt. Relikte aus dem späten 18. Jahrhundert. Es gibt sogar Führungen, die Einblick in diese Zeiten, das Leben der Bewohner und die Architektur geben.
Nun nur noch ein paar Meter… ich atme tief… die Luft…die Luft… tiefblau der Ozean. 33 Km erstreckt sich der goldgelbe Strand,
der so stark verdichtet ist, dass sogar Velofahren möglich ist. Perfekt für ein Strandmärschchen; die Wellen rollen…rollen…. rollen … und plötzlich…. ganz per Zufall plätschert sich noch etwas anderes in mein Ohr: „Loungemusik“. Diesen Klängen muss ich natürlich unverzüglich nachgehen und lande - bei Leibe nicht zu meinem Unwillen - im Zeltrestaurant des Baltic Beach Hotels.
Hier werden Oysterlovers und Kaviar-Fetischisten sicher (ohne mich) glücklich.
Ich mag einfach die Atmosphäre, die schön gedeckten Tische, den Blick vorbei an einer blühenden Kastanie auf das Meer und ein ein pfingstsonntägliches Glas Prosecco. Hier sitzen… die Augen im Horizont versenken. Was mehr?
Zurück geht es per Taxi in die Stadt auf leeren Strassen. Die ganze Nation Lettland klebt vor dem Fernseher. Die Hockeyhelden sind gerade daran, ein Wunder zu vollbringen und die Amis im Match um die Bronzemedaille zu besiegen…. Es gelingt.
Der Abend ruft nach einen urigen Gegenprogramm. Kein Schicki-Micki, sondern lokale Beizenkultur ist mein Plan.
„ALA Pabrabs“ liegt etwas versteckt in einer sehr unspektakulären Nebenstrasse (manche mögen es gar als peripher gelegen, bezeichnen) und der erste Eindruck gebietet eher, auf dem Absatz kehrt zu machen.
Ich bleibe tapfer. Eine dunkle, nackte Treppe hinunter, ein düsterer langer Flur. Kurz bevor ich definitiv den Rückwärtsgang einlege, erhasche ich Kerzenschein. Ein schumrig beleuchtetes Gewölbe. Wouw… eine Untergrund-Kneipe. Und ziemlich voll hier. Der Kellner, zuckt mit den Schultern: No reservation? No chance… sorry.“
Ich greife zur - in diesen Fällen bewährten - Trick 77 Methode. Sich an die Bar begeben, Wein bestellen und sich mit aufgesetzt enttäuschter Miene in den „On-verra-Modus“ begeben.
Und siehe da: Der servierende Bud Spencer mit dem wohlklingenden Namen „Sandis“ hat mich ins Herz geschlossen. „Also, aber nur bis 20.30 Uhr, dann beginnt die Band“. Sandis empfiehlt die Lokalspezialität „graue Erbsen mit Räucherspeck in einem Brotmantel“. Ich schiele auf den Nachbartisch, wo drei trinkfrohe Briten ebensolches geordert haben und in einem blockartigen bombastisch grossen Gebilde herumstochern. Ich weiche sicherheitshalber auf die lettischen Hacktätschli aus; eine tipptoppe Wahl.
Einstweilen hat sich die Band des Abends eingespielt. Und los!!
Der Fontsänger im Heino-Stil mit Elvis-Röhre gibt Vollgas und bringt seine Kollegen an der Elektogitarre und am Bass gleich ordentlich in die Gänge.
Der Jailhouse-Rock
pfeffert an die ehrwürdigen Rundbögen, die mit epochalem Echo noch einen draufgeben.
Unter den Tischen zucken die Füsse und oben fliesst das Riegenser Bier. Nach 10 Minuten ist der Laden bereits aufgeheizt. Das wird ein hipper Abend, denke ich mir und just in diesem Moment pflanzt sich die Kollegin von Sandis vor meinem Tisch auf und deutet auf die Uhr. „Ohhh … das hatte ich ja ganz vergessen! Nur bis 20.30Uhr. Ja klar… war so abgemacht“. Die nächsten Gäste stehen schon parat. „Heino-Elvis“ schickt mir zum Trost „My Baby left me“ hinterher.
Meine Seele braucht jetzt noch eine Hängematte. Zwei Gassen weiter werde ich mich fallen lassen… hinter diesem Fenster (Titelbild). Die Scheiben oszilieren. Der Schriftzug: „Riga Black Magic“. Rote Plüschsessel, Vintage, eine Theke.
Sombre das Licht. Weitere mittelalterliche Räume, ein gotisch anmutendes Cabinet de toilet.
Kaffee, Tee kann ich hier bestellen. Aber darum geht es nicht. Die Speisekarte ist eine einzige Hommage an ……die Praline. Jede ist einzeln aufgeführt, beschrieben, … und man bestellt beim aufgestellten Team ganz bewusst nur eine, zwei davon… als Begleitung zum Getränk.
Zelebration pur. Das besträuselte, dunkle Truffes mit Himbeergelée-Herz zerfliesst. Serotonin-Rinnsale in all meine Adern schickend. Glück… wie bist Du nah.
Und wenn es wohlig wird… kommt es noch besser. Im Regal stehen Flaschen: „Lativa Balsam“. Ich koste (aus der Chiesistadt stammend) natürlich: „Cherry“. Eine Art Appenzeller mit Kirschinfusuon. Wahrlich wärmend. Eine Flasche kommt in den Koffer.
So verlasse ich diesen Seelenort mit Balsam für Anima et Corpore. Er wird nachwirken.
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Rena de la casa (Samstag, 03 Juni 2023 07:45)
Einfach grossartig:
Ich spüre die Atmosphäre
Ich rieche das Meer
Ich lausche den Wellen
Ich höre den Kneipen Geräuschpegel
Ich geniesse die Praline und den Absacker -
mit dir!
Grazie mille, cara.
Roland (Samstag, 03 Juni 2023 08:10)
fesselnder und superinteressanter reiseblock (wie immer!) herzlichen dank, franziska!
Dorte (Samstag, 03 Juni 2023 10:30)
Riga scheint wirklich eine Reise wert zu sein. Freue mich auf Teil 2 �
Ursula (Samstag, 03 Juni 2023 17:13)
Wirklich etwas für alle Sinne und Facetten. Schade, dass man dir nicht im Windschatten folgen darf. Aber ein einladender Streifzug ist es allemal!!
Freue mich auf weitere „Glustbrisen“�
Ursula
Albert Müller (Samstag, 03 Juni 2023 17:55)
Only GIFTS from RIGA - staune über die herrlichen "Postkarten" - Aufnahmen und über deinen Mut zum "On-verra - Modus"...
Iris Eling (Samstag, 03 Juni 2023 21:16)
Eine tolle, einzigartige Reisebeschreibung!
Herzlichen Dank dafür!
❤️❤️❤️❤️❤️�♀️Iris