Bel Vedere

Kaum hatte ich in Landquart die rhätische Bahn bestiegen, rief ich die Rezeption an:

„Könnten Sie mich am Bahnhof um 11.32 Uhr abholen? Ich bin die mit dem Leoparden-Mantel … und ich beisse nicht!“ 

In der Telefonleitung bemühte sich der Concierge um 5-sterne-kompatible Contenance, aber ein grinsendes Glucksen streifte trotzdem mein Ohr… und die Bestätigung auch. Natürlich klappte das angefragte Welcome ganz vorzüglich. Etwas anderes hätte ich von DER Schweizer Hotel-Ikone auch nicht erwartet, denn in dieser Locatio gehört der geschmeidige Umgang mit gewissem exzentrischem Verhalten zur DNA. Deshalb brachte meine Check-In-Bemerkung, ich hätte um 17.00 Uhr in der Cariget Bar am Kaminfeuer mit Bill Clinton abgemacht, das uniformierte Personal auch nicht aus der Fassung oder gab sie gar Anlass, mir noch ein Zimmer-Up-Grade mit Sicht auf die Promenade und die gleissend weiss verschneite Bergwelt zu gönnen? 

Durch die Korridore weht der Duft der grossen weiten Welt. 

Leider gerät das Kaminfeuer-Date mit Bill ins Kippen, doch die Zimmerdame versichert mir zum Trost, dass auch in meinem Zimmer schon viele WEF-Berühmtheiten genächtigt hätten. Die Gedanken sind frei: Nelson Mandela für eine (postum) Philosophiestunde und Geoges Clonney…. tja….

Unberühmt aber dafür herzlichst angetan vom kleinem Balconetto, nehme ich Platz in der ersten Reihe mit Blick auf das Kirchner Museum und die Alpenwelt. Die strahlende Sonne füllt meine Vitamin D Speicher und das Buch von Andreas Augustin „Grand Hotel Belvédère“ erquickt meine Neugierrezeptoren. 

Die Geschichte begann 1875 mit 30 Zimmern, um 1900 spricht man in erlauchten Kreisen von der längsten Hotelfassade der Welt. 

Tout le Monde gibt sich hier alsbald die Klinke in die Hand. Das Buch entführt in das Davos der Reichen und Mächtigen, der Regenten, der Künstler, Avantgardisten, Lungen-Kranken und der Spione. 

Opulente Masqueradenbälle, eine Flucht vor den grausigen Realitäten des 1. Weltkrieges. Erich Kästner, der in diesen Mauern den „Zauberlehling“ ansiedelte, ein Auftragswerk aus der lokalen Society, mit diesem man dem Thomas Mannschen „Zauberberg“ entgegenhalten wollte, der mit seiner Behauptung, es würden wohlhabende Tuberkulose-Patienten, die eigentlich geheilt waren, mit falschen Diagnosen, dazu motiviert, noch länger in den teuren Sanatorien zu verbleiben, beträchtlichen Imageschaden angerichtet hatte. Dies wiederum kümmerte die sportaffine Klientel wenig. 

Vor allem die Briten brachten vergnügungsorientierte Leichtigkeit ins Tal. Das Belvedere als Hotspot aller Sportbegeisterten. Die hier vereinte Kreativität diente als Katalysator für diverse Wintersportarten. Das Belvedere als einer der zentralen Grundsteine des Schweizer Tourismuserfolges.

Ich klappe das Buch zu. Der Himmel brennt. Mein Interesse ist entflammt.

Heute Abend auf SRF: 

Davos 1917.



Euch allen lichterfüllte Weihnachten.

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Kommentare: 8
  • #1

    Rena de la casa (Sonntag, 17 Dezember 2023 18:35)

    Wenn du wüsstest: seit ein paar Wochen mach ich Werbung für ‚Davos 1917‘ und beim Lesen deiner Zeilen hab ich nur so geschmunzelt.
    Dreh- und Angelplatz der teuren Serie war die Schatzalp, gefilmt mit tollen Schauspielern.
    Ich danke dir für deinen amüsanten Short Bericht.

  • #2

    Albert Müller (Sonntag, 17 Dezember 2023 21:51)

    Wunderbar, aber Frage: Hast Du die "räthische" oder "rhätische" oder rätische Bahn bestiegen? Welche von den dreien? - Frohe Weihnachten und dann alles Gute im Neuen Jahr - mit neuen Aussichtspunkten im In- oder Ausland, das wünscht dir der Gersauer!

  • #3

    Roland (Sonntag, 17 Dezember 2023 22:35)

    Nach einer Schreibpause einmal mal mehr superspannende und packende Beschreibung! Geniess Deinen Aufenthalt im Bündnerland! Beste Grüsse

  • #4

    Annalies (Montag, 18 Dezember 2023 08:06)

    Schön,dass du dem Nebelmeer entflohen bist und wieder Zeit zu schreiben gefunden hast.
    Ich wünsche eine schöne Weihnachtszeit und alles Gute.

  • #5

    Petra Becker (Montag, 18 Dezember 2023 15:31)

    Liebe Franziska,
    welch schöner Beitrag, vielen Dank!
    Auch ich habe dort schon genächtigt und bin im Januar wieder in Davos.
    Ich wünsche Euch von Herzen auch ein wundervolles Weihnachtsfest und nur das Allerbeste für 2024.
    Herzliche Grüsse, Deine Petra

  • #6

    Georges (Montag, 18 Dezember 2023 16:42)

    Wie immer in deinem bekömmlichen, leicht verdaubaren und präzisen Schreibstil geschrieben...

  • #7

    Dorte (Montag, 18 Dezember 2023 20:52)

    Davos ist immer eine Reise wert. Schön den Zuger Nebel entfliehen zu können.
    Schöne Weihnachtstage und ein gutes Neues Jahr. Und auf bald wieder.

  • #8

    Irmgard (Donnerstag, 21 Dezember 2023 11:01)

    Dein Blog ist wie immer amüsant. Ich liebe den Beginn mit der abholbereiten Leopardenmantel Lady ganz besonders. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie der Mann am Telefon sich das Lachen verkneifen musste, trotz jahrelanger Übung im Wahren der Contenance.