Edelheiss und Zeitenlauf

Ich wäre auch auf die Landstrasse abgebogen, wenn mich diese Entscheidung von der ursprünglich angedachten Route abgebracht hätte. Ein überdimensionales Plakat mit Pfeil. Was für ein Wort: „Edelheiss“. Was wird mich erwarten? 

Noch windet sich das Strässchen durch sommergrünes hügeliges Gelände. Im Hintergrund erhebt sich in der Ferne mein Ziel, eine der neueren Attraktionen von Kärnten. Doch die kann warten. 

Ein weiteres Schild. Eine Scheune. Stopp! Da muss ich hinein und lande entzückt im Dirndl-Nirwana. Seidenglanz und Busen-Blusen. Zahlreiche Besucherinnen schweben im 7. Rüschenhimmel. 

Bräutigame in spe in Begleitung ihrer Eltern quetschen ihre Bizepse durch die Armlöcher von silberbeknöpften Satinwesten während Herren älteren Semesters bei der Anprobe der Lederhose ihrer Wahl seufzend und fluchend die Ränzen einziehen. 

Die Beraterinnen bleiben derweil fröhlich-gelassen und versuchen an manch kräftig behaarten  und voluminösen Austria-Waderln die Stricksocken hochzuziehen. Da bleibt keine Zeit für das junge ausländische Pärchen, das sich bei den Festtagsdirndln verirrt hat. 

Offenbar verleitet mein rustikal geschwungenes Figurdesign die beiden zur Annahme, ich könnte zum Trachten-Beratungs-Personal gehören. So gebe ich mein Debüt bei Edelheiss. Es steht die Frage im Raum, welche Farbe der jungen Dame denn stehen würde. Kompetent und stilsicher rate ich zu schilfgrün. Offenbar mit Erfolg. 

Alsbald steuern die Verliebten auf die Kasse zu. Ob sie auch instruiert wurden, wie die Schürze zu binden wäre? 

Sicher nicht links, das Madel scheint ja vergeben. Nachdem auch ich mich mit ein paar Décoltéeschmeichlern eingedeckt habe, steige ich in den Wagen. 

Ich will nach Taggenbrunn, das mit dem Slogan wirbt: „Refugium für alle Sinne“. Mein Vorspiel in die kärntnerische Folklore-Erotik war da sicher nicht unpassend. 

Es erwartet mich ein Gesamtkunstwerk, wie es nur Visionäre zustande bringen. Ein dreifach Hoch auf den Kärnter Denkmalschutz, der für dieses Projekt ganz offenbar das historifizierte Blackbox-Denken über Bord warf und damit einer Ruine ein neues Leben ermöglichte. 

Es sind nur ein paar wenige Kurven. Rebhänge säumen den Weg. Ich treffe auf Weingut Taggenbrunn ein. 

In der Auffahrt wacht das Wahrzeichen des Gutes, die Zeitgöttin. Klar, gut Wein will Weile haben und dieser darf alsdann auch vollmundig beschrieben werden: 

Weinsensorik: Muskateller

„Dieser Wein verführt mit seinen blumigen Noten und begeistert mit einem animierenden Trinkfluss….“

Während sich die Trauben an den Abhängen in der gleissenden Sonne der Steigerung ihres Öchlegrades widmen, schwenkt mein Blick hinauf zur thronenden Burg. Der Unternehmer Alfred Riedl kaufte die Ruine 2011 und hat diese zusammen mit seinem Künstler-Freund André Heller „revitalisiert“. Als Gründer der Uhren Marke „Jaques Lemans“ passte sein Ansinnen, der Burg Taggenbrunn eine „neue Zeit“ zu schenken wohl perfekt zusammen. Die Ruine wurde wieder zur Burg und bietet heute für ALLE etwas. 2019 startete die neue Zeitrechnung des Hochsitzes Taggenbrunn im Theatersaal, wo auch Festspiele aufgeführt werden. 

Die Anfahrt lässt diverse Optionen offen. Per pedes, motorisiert und für mich die Architekturvariante: Der Glaslift. Hier vereinen sich Altertum und Moderne. 

Den Wagemutigen solls recht sein. Sie können bei der Rückkehr die Rutsche nehmen.

Hinter den trutzigen Mauern drehen sich  die Zeitenzeiger. Jaques Lemans zeigt die Kollektionen für modebewusste Handgelenk-Affineure. 

In der Ausstellung „Zeiträume“ nebenan tauche ich ein in die res temporis. 

Es wird futuristisch und contemplativ zugleich. Hey, Planet quo vadis? Wieviel Zeit bleibt uns noch? 

Mich zieht es in die Hauptattraktion, das grösste Kaleidoskop der Welt. Schon als Kind staunte ich über spiegeltastischen Reflexe. 

Da stehe ich. ICH von links und ICH von rechts… ICH schräg und ICH auf dem Kopf … die Neoröhren blinken… Strotoskope flimmern…  werfen Hundertscharen von Lichtblitzen in Richtung Unendlichkeit. Versinken in blauen Polygonen.

Zeit… Zeit. Kann ich sie fassen oder zerfliesst sie mir durch Geist und Seele? 

Ich halte es simpel. Oben im Restaurant mit Panoramasicht warten meine Freunde, die mir drei wunderbare Tage in Kärnten bereitet haben. 

Herzlich danke Euch … und jetzt bestellen wir lokale Kasnudln …


Die schönste Form von Zeit:

Zusammensein!

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Kommentare: 7
  • #1

    Rena de la casa (Montag, 05 August 2024 22:42)

    Nach deiner witzigen Story bringst du‘s auf den Punkt: Zusammensein mit Freunden ist die beste Zeit!
    ¡Gracias, cara Francesca!

  • #2

    Petra Becker (Montag, 05 August 2024 23:02)

    Sehr schön, liebe Franziska!
    Herzliche Grüsse, Petra

  • #3

    Katharina (Montag, 05 August 2024 23:12)

    Danke, dass Du diese wunderbaren Eindrücke und Bilder mit uns geteilt hast!�

  • #4

    Susanne Huber (Dienstag, 06 August 2024 07:34)

    Phantastisch - einmal mehr. Vielen Dank liebe Franziska, und Dir weiterhin eine schöne und spannende Zeit. Susanne

  • #5

    Dorte (Dienstag, 06 August 2024 10:05)

    Sehr interessant was es alles zu entdecken gibt. Und du findest es immer wieder!

  • #6

    Albert Müller (Dienstag, 06 August 2024 11:37)

    Wunderbare Aufnahmen und Kommentare, wobei ich den Ausdruck "Madel" nicht kenne...ev. Mädel...

  • #7

    Oswald (Mittwoch, 07 August 2024 18:31)

    Wie immer tolle Beschreibung einer interessanten Gegend, bzw. Location.
    Mann möchte immer gleich auch hingehen…
    Bravo.
    Beste Grüsse, Oswald