Dezent golden leuchtet die Kugel. Sie liegt auf der langen Werkbank der Spenglerei. Werner Lippuner war tags zuvor auf die luftigen Höhen der Turmspitze gestiegen und hat sie nach fast 71 Jahren wieder heruntergeholt.
So kurz war noch nie eine meiner Blogreisen. Aber derart emotional-spannend wie selten eine andere.
Ein paar Monate ist es her. Ich traf im Pulverturm eine Stadtratsdelegation. Da ich im Zusammenhang mit meinen Führungen immer up to date sein möchte, erkundigte ich mich nach den Renovationsplänen für den Zuger Zytturm und liess auch gleich einfliessen, dass man ja gespannt sein dürfe, was in der Goldkugel vom Peak wohl drin sei? Diese Bemerkung stiess auf unerwartetes Erstaunen. So eine Jahrhundertsanierung bindet verständlicherweise sehr viele Energien und Koordinationsarbeit bei den involvierten Organisatoren. Aber dass da noch ein Geheimnis schlummern könnte, dies war offenbar nicht auf dem Radar.
So erzählte ich, was ich von Georges Raemy, dem Schwiegersohn von Hans Koch sel. wusste. Hans Koch war Stadtbibliothekar zur Zeit der letzten Restauration im Jahre 1953 gewesen. Er teilte seiner Familie mit, dass er in seiner Funktion die Aufgabe übertragen bekommen hätte, die Zytturmkugel wieder für die Nachwelt zu bestücken. Was da hineinkam? „Es bleibt ein Geheimnis; niemand darf es wissen.“ Nur soviel: Hans Kochs Wunsch sinngemäss: „Es wäre schön, wenn die Familie dabei wäre, wenn es soweit ist!“.
Und so ist es nun der 2. Oktober 2024, 8.00 Uhr. Der Stadtrat hat das Momentum ergriffen und die Öffnung zu einem Event vor kleinem Publikum gestaltet. Grosse Freude bei allen Eingeladenen. Es ist ein
„einmal im Leben Augenblick“.
In der Werkstatt schwingt fröhliche Gespanntheit. Die Kugel hat den Inhalt freigegeben. Zwei verschlossene Eisenrohre und zwei fast identische Bleischächtelchen. Das eine mit Gravur 1953 und das andere, wouw welche Überraschung, mit Inschrift 1687. Offenbar wurde die jüngere Box genau dem Vorbild der älteren nachgestaltet. Beide sind mit Schnüren verschlossen. Rote Siegel bröckeln an den Schnurenden.
Wo beginnen wir? Wir tippen auf die Rohre.
Es ist 8.21 Uhr Langsam …. langsam wird geöffnet und sachte eine erste Papierrolle herausgeschoben. Es sind Schwarzweiss Fotos vom Turm. Mit Gerüst und im renoviertem Glanz.
Dann kommt hervor, was zu vermuten war: Eine Art Urkunde verfasst von Hans Koch. Das Dokument ist prächtig erhalten, fast blütenweiss und geschmückt mit dem Zuger Wappen.
Das Schreiben erzählt von aktuellen Geschehnissen im Zeitraum der Sanierung und interessanterweise auch vom Bevölkerungsstand (955 Stadt Bürger, 1‘714 Kantons Bürger, 10‘688 Schweizer Bürger, 1‘813 Ausländer) in der Stadt und was diese Konstellation alles für Herausforderungen berge. Gelächter brandet im Raum auf. Andere Zeiten… gleiche Probleme!
Unterzeichnet wurde die Urkunde auch von allen amtierenden Stadträten und vom Stadtschreiber Hans Hürlimann… ja der! Sie alle haben ihr Leben lang dichtgehalten und nichts verraten.
Die Verwunderung geht nahtlos weiter. Hervorkommt ein Schreiben aus 1863, der vorletzten Renovation,
und schliesslich die Sensation ein Schreiben von 1687. Zusammen mit der einen Bleischachtel muss wohl die Baugeschichte des Zytturms neu erforscht werden. In den Historien war dieses Datum offenbar nicht bekannt. Der Inhalt der Urkunden (Handschriften) wird Gegenstand der Übersetzungsexperten und Entzifferungsspezialisten sein.
Nun wendet sich unsere Aufmerksamkeit der Schachtel 1953 zu. Deckel ab und es sieht schon mal stilsicher aus.
Darunter ein gefaltetes Dokument. Aha… ein Stadtprospekt in back und white. Sehr gelungen und wir sind höchst amüsiert.
Darunter geht es munter weiter mit allerhand Zettelchen. Die Preise von Lebensmitteln. Ein Liter Kirsch darf dabei nicht fehlen. Zwölf Franken!
Und eine Liste aus 1887.
Eine Zuger Zeitung 1887 mit Inserateteil.
Kleine Fotos von Hans Koch in Aktion.
Die Liste von Handwerkern, welche die Restauration durchgeführt haben und ein Schreiben, über üble Blitzeinschläge im Turm während der Arbeiten.
Weiter geht es mit Münzen (Silber!. Satt glänzend haben sie die 7 Dekaden überstanden.
Ein Kunststoffsiegel, das offenbar punkto Materialisierung im Jahre 53 offenbar der letzte Schrei war.
Danach kommen viele kleine Papierpäklein mit Stoffmustern und ect.
Mit der Zeit wird uns klar, dass zum Auspacken der vielen Kleinigkeiten wohl besser Fachpersonal gefragt wäre. So überlässt man auch die Schachtel aus dem 17. Jahrhundert lieber später den Historikern und Kuratorinnen.
Der Gwunder darf weitergehen.
Wir alle sind dankbar und hocherfreut über das Erlebte und staunen wie die Gegenstände in so tollem Zustand all diese Zeiten in der Kugel überlebt haben.
Aber noch ein Blick in die nahe Zukunft:
Mache ich ein paar Schweissperlen auf den Stirnen der anwesenden Stadtväter aus?
Sie müssen liefern und schweigen. Wird eine geheime Taskforce gegründet?
Was werden sie dem Zytturm für die kommenden Generationen anvertrauen?
Die Zeit rennt: In drei Wochen soll die Goldkugel neu vergoldet und gefüllt an ihren Ausguck zurück.
In einem der heute entdeckten Zeugnisse steht:
„Gott erhalte unsere Stadt und schütze sie“.
Danke für dieses Erlebnis.
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George (Samstag, 05 Oktober 2024 18:42)
Wow. Getroffen.
Vreni (Samstag, 05 Oktober 2024 19:11)
Super Bericht, wär gerne dabei gewesen
Herbert… der Luzerner (Sonntag, 06 Oktober 2024 00:33)
Spannend von der ersten Zeile bis zum letzten Bild… Francesca eben…
Wolfgang Koch (Sonntag, 06 Oktober 2024 07:03)
Unglaublich Geschichte herausfordern erwischt Sachen entdeckt, so meinem Vater alles selber uralte Sachen im spezielle Schachteln eingepackt ��
Werner Weber (Sonntag, 06 Oktober 2024 07:41)
Wie doch die Zeit vergeht. Anlässlich dieser Renovation war ich gerade mal 10 Jahre jung. Gratuliere Franziska zu deinem Bericht. ☺️
Vreny Landtwing (Sonntag, 06 Oktober 2024 11:54)
So ein Glück, dass du Franziska dabei sein konntest! Ein super Bericht in Wort und Bild. Man kann gespannt sein auf die Verarbeitung durch die Fachstellen.
Romina (Sonntag, 06 Oktober 2024 17:47)
Wowww Wahnsinn sehr interessant �
Rena de la casa (Sonntag, 06 Oktober 2024 18:57)
Spannend ‚verpackt‘ schilderst du uns von den verborgenen Schätzen, die es auszupacken galt: Geschichten von und über die Stadt Zug!
Auf die Fortsetzung freue ich mich!
Susane (Montag, 07 Oktober 2024 10:12)
Dein Bericht ist mindestens so spannend erzählt wie die Kugel selbst. Vielen Dank dafür, liebe Franziska. Susanne aus Ägeri
Albert Müller (Montag, 07 Oktober 2024 17:53)
Der Gersauer dankt für das Erlebnis!