Tag 1
Bis anhin habe ich immer einen Bogen um sogenannte Escape-Room-Spiele gemacht. Neuerdings kann ich mitreden. Schon gewusst? Der Flughafen Zürich bietet ein ganz neues Indoor Erlebnis an und bringt die Aufgaben auf ein neues Level. Es geht nicht darum, das Gebäude zu verlassen, sondern mit (irgend)einem Flug zu deiner Destination abzufliegen. Mitbringen: Sitzleder, gefüllte Kreditkarte, Geduld, Eloquenz, dosiertes Misstrauen, Kreativität…..
Alles beginnt ganz entspannt. Es ist der Abend des 4. Jänner 2025. Problemlos schaffe ich das übliche Prozedere und lasse mich ferienreif auf einen Stuhl des Bindella in der Tax-Free Aerea fallen. Immer faszinierend:
Der Blick auf die geparkten Flieger. Fernweh flutet das Herz. Es regnet. Drei Bruschette und ein Glas Rotwein später. Das Bühnenbild hat geändert. Alles weiss; hektisch schneuzen Armadas von Schneepflügen umher, die in 10er Formation vergeblich nach dem Schwarz des Belages suchen.
Es blinkt: Rot… gelb. Fequenz 90. Die Farben flimmern ihre Reflexion in den Schnee, an die Rümpfe der Flugzeuge, in Windschutzscheiben…
„Tuna“, der Kellner, definiert es so. „Hier sitzen, wie Business Class mit bester Sicht!“
Ich finde das wuslige Treiben auf dem Vorplatz (noch) amüsant…. bis die optische Schärfe arg getrübt wird. Aus Schneefall wird Eisregen, der sich in gefrorenen Rinnsalen und Klecksen an die Scheibe klebt.
Boarding: 21.40 Uhr. Die Edelweiss ist zu 50% leer. Ich sichere mir eine Mittelreihe für die Nacht. Draussen werde ich unterhalten mit wahrlich speziellen Szenarien. Auf Warten bin ich eingestellt. Die Enteisung der Flügel ect. wird Zeit beanspruchen. Wir schieben zurück und rollen in Richtung Startbahn.
Ab dann geht nichts mehr. Stunden. Um 00.30 meldet sich der Herr Pilot Holdener nochmals… nicht mit erfreulichen Nachrichten: „Leider können wir nicht abfliegen. Die Situation ist prekär. Wir fahren zurück zum Gate. Alle müssen das Flugzeug verlassen. Sie können ein Hotel suchen - aber hier sind 2000 weitere Personen - gestrandet. Idealerweise begeben Sie sich nach Hause. Edelweiss wird sich in 4-5 Stunden per Mail bei Ihnen melden und eine Hotline haben wir auch!“
Herr Holdener hat sicher nur durchgegeben, was die Zentrale getextet hat, aber das ist natürlich alles illusorisch.
Wegen Uhrzeit (nach Mitternacht) und Eisregen keine Transporte und bei den Hotels säuselt es: Für Deutsch wählen Sie 1….. für Reservationen 2 …. nach diversem Gedrücke: „Sie rufen ausserhalb der Geschäftszeiten an. Schreiben Sie ein Mail.“
Tag 2
Na ich bin doch immer auf der Suche nach ungewöhnlichen Übernachtungsmöglichkeiten. Top Erlebnis:
Ich entscheide mich für die untere Etage von Terminal E. Da ist es sicher ruhiger.
Ich habe gerade meine Bones längs über die Sitze drapiert… da ertönt Geheule:
Die Bodenputzmonster in der Grösse einer Eisreinigungsmaschine kreuzen auf. Eine Stunde lang wird an mir entlanggewachst und gebohnert. Endlich Ruhe.
Ich dämmere ein.
Plötzlich ein ohrenbetäubendes Gerattere. Passagiere haben die Kaffeemaschine auf „meinem Stock“ entdeckt. Jedes Mal startet die Rolltreppe mit Getöse, wenn jemand nach unten will. Auch das legt sich mit der Zeit. Nickerchen. Denkste. Mit gefühlten 50 Dezibel eine Durchsage, die mich aufschiessen lässt: DING DONG: „Das ist ein dringender Aufruf der Polizei: Lassen Sie kein unbeaufsichtigtes Gepäck“…. ect. ect. in 4 Sprachen. Meine Augen klappen endlich für einige Minuten zu. 5 Uhr: Ein Lautsprecher-Mix aus Mondscheinsonate und Klavierjazz deutet an, dass die Ruhezeit beendet ist. Die ersten Fluggäste nach Pristina stehen auch schon vor mir auf der Matte. Ich schleppe mich zum ersten Star Bucks und checke die Mails. Edelweiss?
Nada.
Hotline: Mail kommt später.
Hotline 3 Stunden später: Ihr Fall geht uns nichts an, sie haben über die SWISS Seite gebucht. Dort anrufen!!!
Anruf Hotline SWISS:
Nach 70 Minuten Schlaufe:
Ihr Flug ist abgeflogen
Ich NEIN…. der Flieger kam ja wieder ans Gate.
Sorry… wir können keine Flüge umbuchen, die abgeflogen sind!!!
Gehen Sie zum Transfer-Schalter.
Dort 400 Personen vor mir.
Nach 3 Stunden warten.
Sie stehen am falschen Schalter!
Gehen Sie zu Gate A, an diesen Schalter!
Schalter Gate A, 250 Leute
3 Stunden und ein Sandwich weiter:
Endlich Position 1
Die Dame mit polnischem Akzent malträtiert ihren Computer.
Nein, nichts Passendes für Sie über die Emirate. Sie müssen selber schauen, wie sie weiter kommen.
QUO VADIS ?
Wo kann ich den Koffer holen?
Die SWISS gibt kein Gepäck heraus!
Es dämmert. Der Tag ist bald vorbei.
Ich strande bei Quatar Air.
Kurz entschlossen:
Das Ziel vor Augen.
Ticket gekauft nach Doha und weiter auf Seychellen.
Danach sofort zu Lost&Foud Baggage.
Grosse Halle… 10000 Stücke…
Ein Angestellter scannt meinen Gepäckschein. Wir wissen, wo der Koffer ist. Aber die Swissport gibt nichts heraus.
Wir dürfen nicht genau hinsehen!
Kommen Sie morgen wieder.
Inzwischen ein Hotelzimmer erhascht,
falle aufs Bett.
Kling… ein Mail von SWISS.
Wir haben Sie via Dubai umgebucht.
Merde, jetzt habe ich 2 Tickets.
Kann ich wählen?
Nein, Sie müssen morgen den Dubai-Flug nehmen, sonst verfällt ihr Edelweiss-Rückflug.
Nur noch: SCHLAFEN SCHLAFEN!!
Tag 3.
Neuer Versuch punkto Gepäck:
SUPERVISER Schalter SWISS
Wenn Sie ihr Gepäck nicht kriegen, kann ich es intern auf Emirates umbuchen.
Smile, Hoffnung keimt auf.
Wieder Lost&Found
Koffer kann evtl. noch auf Emirates verladen werden, meint ein Angestellter.
Bitte sofort registrieren!
Nonchalant 20 wartende Personen rechts überholt.
Perdona mea culpa, es eilt.
Alles erledigt.
Nein, sie kriegen den Koffer doch nicht.
Wird nachgeschickt.
Zurück zum Supervisor SWISS:
Sie haben doch gesagt, dass Sie….
Habe ich das? Nein, Ich habe keinen Zugriff auf das System. Smile.
Also: Abflug ohne Gepäck:
Ich sitze wieder im Bindella
Der Kellner begrüsst mich ungläubig.
3 Bruschette und ein Glas Rotwein später
Zurück zu Gate E. Hello again!
Dort, wo mein Schlafplatz war
wird zum Boarding nach Dubai gerufen.
Nach 48 Stunden Flughafen Zürich
ESCAPE
MISSION ACCOMPLISHED
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Irmgard (Montag, 13 Januar 2025 08:15)
Wow! Was für ein Stress! Ich habe mitgefiebert, wie bei einem guten Krimi. Mir imponiert die unglaublich hohe Wahrnehmungsfähigkeit von so vielen Details, gespickt mit Ironie und Humor. Definitiv ein „Escape“ der besonderen Art.
RH (Montag, 13 Januar 2025 10:08)
OMG, warum habt ihr nicht angerufen. Hätte Euch vom Flughafen zurück geholt! Diesen Stress muss man sich erst mal gönnen! Viel Spass an der Sonne, Ihr habts verdient. Beste Grüsse. Roli
Cornelia (Montag, 13 Januar 2025 14:30)
Erstaunliches Durchhaltevermögen und das bei …hä? 6 Bruscetta und 2 Glas Rotwein?
Good luck beim Rückflug !
Dorte (Montag, 13 Januar 2025 14:55)
OMG Pech musstest du ausgerechnet im grössten Blizzard dieses Winters. Dann ist chaos vorprogrammiert. Schon heftig, was man dann alles über sich ergehen lassen muss! Hoffe du geniesst noch das warme Wetter auf den Seychellen. Hier ist es saukalt.
Ursula (Mittwoch, 15 Januar 2025 07:51)
Filmszene ja, Realität nein‼️
Hast du das alles alleine, oder in Gesellschaft durchgemacht? Auf alle Fälle bewundere ich das Durchhaltevermögen!
Kompensierend entspannende und verwöhnende Tage wünsche ich dir �️
Ursula
Vreni (Mittwoch, 15 Januar 2025 10:33)
Was für ein Ferienstart!
Rena de la casa (Donnerstag, 16 Januar 2025 15:56)
Incroyable!
Francesca nicht auf Tour, sondern auf ungewollter 48h Flughafen Visite.
Erhol und entspann dich gut an der Wärme.
Susanne (Freitag, 17 Januar 2025 11:22)
Nun hast du Erholung, Sonne, Strand - einfach nur Dolch far niente mehr als verdient. Ich bewundere deine Geduld. Und deinen Humor dabei. Susanne
Georges (Freitag, 17 Januar 2025 14:56)
Das ist ein unvergesslicher Ferienstart. Toll erzählt.