Der Metallstuhl auf dem Balconetto des alten Palazzos leistet Zentimeterarbeit.
Aber man schafft es, sich zwischen dem senfgelb gestrichenen Fensterrahmen und der Schmiedeisenballustrade sitzenderweise einzuquetschen, um das weltberühmte Dörfchen Positano aussichtweise zu betrachten.
Wie filigrane Cartonage stapeln sich die ehemaligen Behausungen der Pescatores übereinander entlang der klippig abfallenden Bucht.
Das Farberlebnis ist Pastell.
Hauchzartes Melone wechselt mit verwaschenem Vanille, fliesst hinüber zu Taupe und erahntem Crème. Allen Häusern eines gemeinsam. Sie gefallen sich in ihrer fast morbiden Complexion. Kein Verputz, der sich nicht in Entblätterung übte. Undefinierte Flecken von auch schon wieder schmutzigem Gips freigebend. Entlang der Vertikalen wasserfallsgleich ein Schwall von athrazitenem Russ, der sich schon vor 50 Jahren in den Verputz eingefressen hatte. Nun ist es aber nicht so, als regte sich bei irgendjemandem das Bedürfnis nach Renovation. Im Gegenteil. Die seltenen Gebäude, die in makellosem Outfit erscheinen, wirken in ihrer Perfektheit fast ein wenig déplacés.
Weder die Einheimischen noch die Tausenden von Touristen, die durch die engen Gassen gespült werden, möchten wohl gerade diesen Shabbystyle missen,
ja er scheint Konzept und Charme zugleich zu sein. So auch gepflegt im altehrwürdigen Palazzo Murat, der seine 4 Sterne mehr als wert ist.
Vom boutiquegesäumten Gässchen schreitet man durch die
"porta del paradiso"
und findet sich sogleich im Garten Eden. Ruhe. Gemäuer.
Der Philodendron „Monstera deliciosa“ schwappt mit seinen grüngezahnten Riesenblättern aus einer bombastischen Tonamphore und schiebt sein Laubwerk nicht unbescheiden in den sanft beflackerten Torbogen.
Diesen durchschreitend gelangt man auf eine einladende Terrasse, umfangen von steinernen arabesken Sitzbänken, deren gemusterte Kissen in grafischem Weiss-Schwarz-Ecrue und Türkis jedem Auge schmeicheln.
In der unteren Etage des Gartens versteckt sich das angenehme Outdoorrestaurant, verwunschen seine Tischchen unter lauschiger Botanik drapierend.
Schwülsüss hängt der oppulente Duft von weissem Jasmin über den Tellern,
während man glaubt, frechgelbe Zitronen tropften gerade von den benachbarten Bäumen. Weiter hinten öffnet sich der hauseigene Orto (Gemüsegarten), wo man den Chef de Cuisine beobachten kann, wie er die Blätter des weinroten Basilikums eigenhändig kappt, die alsbald in köstlicher „Pasta Sorrentino“ aufscheinen und den Gaumen kitzeln.
Ach wie wäre es schön zu bleiben, aber die Reise nimmt ihren Lauf…
Der glücklichste Hahn am Mittelmeer ist wahrscheinlich der Giallo von San Pietro.
Mit masukuliner Selbstverständlichkeit trompetet er seinen Revierruf über das Felseneck,
100 Meter hoch über dem Wasser, wo sich das traumhafte Hotel San Pietro - einem Schwalbennest gleichsam - an die Kalkabgründe klammert. Der Umzug vom Palazzo Murat, der leider für weitere Tage sold out war, war einer der ungeplanten Art, aber das hier nachfolgend geschildert Erlebte, schien das reisetechnische Schicksal gewollt zu haben. Und ich auch.
Schon die Anfahrt verspricht Exitement pur. Die kleine - mit wildem Wein umrahmte - Kapelle des heiligen Peter empfängt die Ankömmlinge auf luftiger Plattform hoch über den Wellen thronend und von diesem Moment an.wird man aufs Freundlichste umsorgt. Von gleich drei Seiten tönt es "bienvenuti". Allerdings, Auswahl, zu welchem Herrn man sich fürs Erste gesellen möchte, gibt es nicht, denn es gilt zweifellos dem 1.92 Meter Superbody mit Rasurfrisur zu folgen, und dieser braucht kein Kabel im Ohr, um klarzustellen: "Er" ist der Sicherheitschef hier und unter der darkblue Seide seines Massanzuges ...
Man ahnt es nicht ...man weiss es….. schlummert ein gewaltiger Bizeps!
Mit ein paar einstudierten Nettigkeiten kanalisiert „il capo della securità“ die Neulinge über ein schattiertes Treppchen. Ein erster Ahh und Ohh Tiefblick. Man möchte verweilen, doch es geht zügig zum ersten Lift. Die Türe öffnet sich und nun geschieht etwas sehr Sympathisches. Es ist nicht die Welt oder „Wouwww“ , aber man muss überrascht schmunzeln, wird es nie vergessen und fühlt sich sofort "arrivata" an diesem herrlichen Fleckchen Erde. Ich werde es nicht verraten.
Der Concierce hat bereits die Raumzuteilung vorgenommen: Numéro 55. Nachdem sich die Preisliste der Zimmer so oder so schon ziemlich schwerverdaulich präsentiert, steigt die Spannung auf die Nachtlokation ins nicht Unbedeutende aber che Sorpresa. Offenbar hatte man die Executivesuite nicht losgekriegt. Ein multiples Upgrade so to say.
Und ich kann es hier nur mit verdeckter Feder schreiben. Ich hätte ohne Wimpernzucken den vollen Preis bezahlt.
Dieses Abheben. Diese Freiheit. Diese Solitüde. On the edge. Die Amalfiküste zu Füssen.
Eine Pergola mit Reben umrankt, und
die Bougainvillea klettert ihr Zyklam ganz ungeniert ins Innere der Stube.
Aber man will gar nicht nach innen. Hinten in der Ecke erwachen Bilder aus alten Kinderzeiten. Die Hollywoodschaukel aus weiss gestrichenem Eisen lockt. Das Orange ihrer Sitzauflage pflegt durch den ihr anhaftendem Grauschleier einen nanokurzen Eindruck von tempi passati. Aber heute passt die Farbe perfekt und komplementär zum leicht verwaschenen Blau des Ozeans
Ebenso stimmig wie la Sale privée ist das ganze Hotel. Ob man in der Lobby im marockanisch anmutenden xxLarge Sofa zwischen den Kissen versinkt oder an dem rosabetuchten Tischchen den
Weisswein "Furore" sippt
und und einfach nur Azzuro sieht. Ueberall ist Balance.
Auch die Poolterrasse ist mit ihren handgehauenen Steinwänden und Böden eine Oase der Beschaulichkeit. Zuweilen aber auch durchaus lebhaft. So, wenn der französische Patron seine Grossfamilie liegestuhlweise um sich schart und munteres Französisch zwischen den Sonnenschirmen plätschert. Man lässt sich etwas von der Melodie des Vokabulars tragen.
Bis... bis... ER erscheint. FELLINl.
Eine Kopie des cinéatischen Genies? Die leicht gewellten out of the bed Haare über braungebrannter Haut. Die Sonnenbrille mit diesen verdickten Seitenbügeln. Und klar. Mann trägt legeres Leinen. Dieses Edelknitter. In Beige und Graustrukturiert und ER hat Erfahrung, sich optimal zu positionieren. Neben dem Pooleinstieg. Mit professionellem Blick vermisst er in Sekundenschnelle den Inhalt jedes vorbeipromenierenden Bikinis. Nicht klebrig, sondern suchend. Heute wird er nicht fündig.
Das Abendrot zeichnet Kupferfeuer in den Horizont.
Der Speisesaal erwacht. Peoplewatching at its best.
Fellini erfüllt meine Erwartungshaltung an ihn des Abends vollauf und erscheint in Begleitung von nicht mehr ganz taufrischem Wasserstoffblond mit langer Mähne, die es aber in bewundernswerter Manier schafft, ihre elegantissima in korrallerot gehüllte Sizezero-Figur auf 10 cm Superstilettos schaukelfrei über den keineswegs herausforderungsabstinenten Hochglanz-Majolikaboden zu balancieren.
Die 1 Sterneküche gibt ihre Genüsslichkeiten mediterran inspiriert von sich. Und dann erst die Dolci. Der liebenswürdige Chef de Service mit dem wohlklingenden Namen "Marrone" empfiehlt die mille foglie.... Ja mille .. mille..
Tausend Sterne im Firmament.
Tausend Glitzerperlen auf der Wasserfläche .. Tausend Träume.
Der talentierte Tenor Giuseppe Gambi singt sein Adio für mich. "Con te partiró". (Mit dir
werde ich verreisen)
Si domani partiró. (Ja, morgen werde ich abreisen)
Ma ritorneró. (Aber ich komme wieder)
Tausend tagträumelang.
Franziska Stadlin Mai 2016
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