CHOPIN  HAUTNAH

"Ja.... Madame . Leider waren Ihre Recherchen im Internet richtig. Das Warschauer Philharmonieorchester ist zurzeit nicht in der Stadt. „Asientour..Korea!"  Michael, der altgediente Concièrge des ehrwürdigen Bristol setzt eine geschäftsmässig mitleidige Miene auf. Sein hellgrauer Blick streift meinen regard de désolé, um mir aber zugleich leicht schmunzelnd-triumphierend ein weisses Kärtchen über den fein geschliffenen Marmorthresen zu schieben. "Madame wären gerne an ein Chopinkonzert gegangen?" Er fand Bejahung in meinem leichten Lächeln. "19.30 Madame, im „Salon Chopin“.... 50 Zlotys. Nehmen Sie ein Taxi. Es ist nicht weit, aber evtl. schwierig zu finden". In einigen Sekunden hat Michael mit einem polnischen Wortschwall telefonisch reserviert. Ich freue mich auf die Aufführung in gediegener Atmosphäre.

Um für die kurze Strecke wenigstens etwas Geld zu machen...

 

dreht der Taxifahrer eine unnötige Ehrenrunde über den Kreisel. Ich bin gütig gestimmt, denn alsbald verliert sich meine Orientierung doch in einer dumpfen Seitenstrasse, eine Strasse wie es sie in allen Grossstädten abseits der glitzernden Boulevards gibt. Da wo sich die Steine von der Pflästerung verabschiedet haben, Löcher im gewellten Bodenbelag hinterlassend. Heute Abend auch mit schlammigem Regenwasser gefüllt. Im Irgendwo der düsteren Fassaden. Wir sind angekommen. Kirschbaumtüre mit etwas Schmideisen. Ein unscheinbarer Klingelknopf. Wir stehen vor dem Bed&Breakfest "Boutique",Tripavisor Awardwinner 2013. Das kann es doch nicht sein. Wenn hier nicht das Mini-Messingschildchen hinge.

 

 "Salon Chopin". Auf gut Glück die Klingel gedrückt.

 

Tatsächlich. Das Tor öffnet sich in ein nichtssagendes Treppenhaus. Alsbald erscheint eine jüngere Dame. "Concert?" Ich nicke.."Secoaaaaand Floaaar pleaaase!" Da oben wartet eine kleine Wohnung. Privat.. Verblichener Perser.. Alles top sauber. "Garderobe rechts bitte."

Einige Haken. Es sind ca. 5 Jacken und Mäntel dort. 

 

"Sie haben reserviert..?"

 

Sie zieht ein Büchlein hervor. "Aha .. Ja. Ok." Die Geldscheine wechseln. Auf einem neu-alten Sekretär stehen einige gefüllte Weissweingläser, Schokoladekuchenwürfel. "Pleaaase ... Serve u!! Der Salon ist vorne links!! Cuuuu later!!! " Der "Salon"'outet sich als ein nüchternes Zimmer, das auch bei Tag keine Aussicht ausser auf senfgelbes Gemäuer im Vis à Vis freigegeben hätte. 25 qm in die Jahre gekommenes Parkett mit  gut 15 abgegriffenen Bistrostühlen und einigen Messingtischchen. Kein Schmuck. Wenn nicht ER gewesen wäre. Stolz, in spiegelnden schwarzen Lack gekleidet, erwartete er uns: STEINWAY.. der Flügel. What a surprise an diesem Ort!

Wir sind nicht alllein.

 

Vier quitsch-fidele englische Ladies aus Liverpool und Cambridge haben den Weg auch hierher gefunden. Bald entwickelt sich mit den lebenslustigen Seniorinnen ein smarter Talk und der singende britische Akzent verwöhnt das Ohr auf angenehme Weise.

 

Punkt 19.30 öffnet sich die Türe. Unsere Empfangsdame tritt ein......Sie?

 

Ja SIE. Mit Notenblättern in der Hand. Sie setzt sich an die Diva der Pianomusik. Ihre Lackstiefel mit vergoldeten Accesoires knirschen. Die Dame hat keinen Namen, aber SIE, die Unscheinbare wird nun spielen. Zuerst Beethoven, dann Chopin. Ruhe im Raum. Sie schliesst ihre Augen. Die braunen Haare fallen in das blasse Antlitz. Für einige Sekunden ruhen die Hände regungslos über dem Tastenstrahl. Dann der erste Ton. Nein, es ist nicht die "Neunte", aber die Eröffnung gleicht jener und der erste Anschlag lässt keine Zweifel aufkommen: Eine unbekannte Meisterin. Es folgt ein Hochgenuss, der seinesgleichen sucht. Der leidenschaftlich virtuose Tanz über Ebenholz und Elfenbein wird immer unvergesslich bleiben.

 

APASSIONATA!!

Und im zweiten Teil werden Chopins Walzer - wie leicht schwebend über den masurischen Seen - sich in unser Ohr schmiegen.

 

Nach 60 Minuten. Die Göttliche verlässt uns. So leise und bescheiden wie sie gekommen war.

 

Überwältigt trete ich auf die Strasse.

 

Heftiger Wind fährt in mein Blond.

 

Der Abend hat Magie...

 

 

 Franziska Stadlin Februar 2016

 

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